3. November 2006

Alle Schlechten Dinge sind Drei!



„Die Nazis stehen doch nur eine halbe Stunde im Regen und halten ein paar Reden. Die Linken hingegen demolieren die ganze Stadt, werfen Steine und gehen auf Polizisten los. Was ist da schlimmer?“ Fragt mich mein Opa immer, wenn er hört, dass ich auf eine Demo gegen einen Faschisten-Aufmarsch gehe.
Am letzten Oktober Wochenende fand wieder einmal ein Nazi-Aufmarsch in Göttingen statt. Der dritte innerhalb eines Jahres. Die Stadt habe die „radikalste linksextreme Szene“ Deutschlands, heißt es in dem offiziellen Aufruf der niedersächsischen NPD. Das macht klar, warum die Nazis um Adolf Dammann, erneut Göttingen für ihre menschenverachtende Kundgebung wählten. Die massiven Gegenproteste ermöglichen es den Nazis da zu stehen, wo sie es am liebsten tun: Im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit.
„Volksfront“ aus NPD und „freien Kammeradschaften“ hoffen in der Bevölkerung das Bild von Gutdeutschen, die nur Politik für (deutsche) Kinder und Familien machen würden, zu verankern. Die GegendemonstrantInnen sind nach ihnen alle TerroristInnen, die eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen würden.
Diese verzerrte Wahrnehmung spiegelt sich tatsächlich immer öfter in Äußerungen vereinzelnter BürgerInnen wieder. Dennoch gelang es dem Göttinger „Bündnis gegen Rechts“, bestehend aus rund 50 Initativen und Organisationen, wieder über 5000 GegendemonstrantInnen zu mobilisieren, an einem Samstagvormittag auf die Straße zu gehen, um sich faschistischer und antesemitischer Hetze entgegen zu stellen.
Dass die rassistischen KundgeberInnen, nichts von den beeidruckenden Gegenprotesten mitbekamen, dafür sorgten über 6000 PolizistInnen, die extra aus ganz Deutschland, nach Göttingen gekommen sind. Auch Wasserwerfer, Panzer und Hubschrauber standen bereit.
Der ursprünglich von der NPD geplante sechsstündige Aufmarsch durch die Innenstadt wurde schon im Vorfeld, vom Göttinger Verwaltungsgericht verboten. Begründet wurde das Urteil mit dem „polizeilichen Notstand“. Zu nahe waren noch die Erinnerungen an den Aufmarsch im Oktober 2005: Das Gericht ließ die Nazis damals durch Göttingen laufen. Die GegendemonstrantInnen stoppten sie.U.a. durch über 30 brennende Barrikaden. Die PolizistInnen waren damals machtlos.
Das sie am vergangenen Wochenende die Macht inne hatten, bewiesen sie auf eine Weise, die auf massives Unverständniss in der Bevölkerung traf. So wurden schon am Tag vor der Demo einige Leute, die lange Haare oder einen Kaputzenpullover trugen, von der Polzei kontrolliert. Eine rechtswidrige Handlung im Übrigen an Äußerlichkeiten fest zu machen, wer Polizeikontrollen passieren darf. Während und nach der Demo filmte die Polizei willkürlich DemonstrantInnen. Natürlich auch rechtswidrig, (solange es kein Grund zur Annahme gibt, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liege vor).
Das sind nur einige Beispiel durch die sich DemonstrantInnnen von der Polizei provoziert fühlten. Bereits im Vorfeld wandten sich zahlreiche Institutionen gegen die „Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes“. Die heftige Kritik von bürgerlicher Seite an dem „völlig übertriebenen Polizei-Einsatz“ nach der ähnlich verlaufenden Demo im Mai blieb folgenlos.
Die StaatsbeamtInnen haben scheinbar vergessen, dass wir in einem Sytem leben, in dem das Demonstrieren ausdrüglich erwünscht ist. Es ist eine der wenigen Möglichkeiten der BürgerInnen legal ihre Meinung zu äußern. Experten werden nicht müde, die Wichtigkeit der Inanspruchnahme dieses Rechts zu betonen. Vergessen schienen die BeamtInnen außerdem in welchem Land und gegen was demonstriert wurde: Gegen ein System, dass nicht nur menschenverachtend ist, sondern auch das Ende der Demokratie voraussetzt. Wer aber dafür mit Dankbarkeit der StaatsbeamtInnen rechnete wurde enttäuscht. „Man kann nicht Politik- und Demokratieverdrossenheit kritisieren und im gleichen Zuge DemonstrantInnen, wie VerbrecherInnen behandeln“, stellte ein genervter Beobachter fest.
In diesem Sinne habe ich übrigens auch meinem Opa geantwortet. Auf der einen Seite stehen Faschisten, die das grausamste Verbrechen der Menschheit leugnen, nebenbei die Demokratie und die Menschrechte bedrohen. Auf der Anderen, Menschen, die sich legal für eine offene und tolerante Gesellschaft aussprechen möchten. Wer ist die größere Gefahr für die Demokratie?
Von Christoph Müller, IGEL-Redakteur, und Mitglied der GRÜNEN JUGEND Göttingen



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