Als Lehre aus dem Ende der Weimarer Republik durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde mit der Gründung der BRD ein Inlandsgeheimdienst eingerichtet, der die Unantastbarkeit der Prinzipien des Grundgesetzes gewährleisten sollte. Dieser Geheimdienst, aufgeteilt in Bundesverfassungsschutzbehörde und Verfassungsschutzbehörden der Länder, hat die explizite Aufgabe Gruppen und Personen, die die „freiheitliche, demokratische Grundordnung“ (fdGo) bekämpfen, zu beobachten.
Die fdGo soll dabei der minimale Wertekonsens sein, in dem jede gesellschaftliche Entwicklung stattfindet, womit besonders der Schutz der Menschenrechte und die demokratische Gesellschaftsordnung gemeint sind. Der Verfassungsschutz soll dieses durch Beobachtung und Bericht über verfassungsfeindliche Bewegungen verhindern, mehr jedoch nicht.
Diese zu verteidigenden Werte entspringen dem Grundgesetz. Bei der konkreten Operationalisierung, d.h. bei der Definition durch den Inlandsgeheimdienst, welches die Werte sind, die schlechthin konstituierend für die fdGo wären, zeigt sich jedoch eine ganz eigene Interpretation durch den Verfassungsschutz, dass der Verfassungsschutz sich oftmals in seinen Arbeitsweisen nicht an die Definitionen der fdGo hält: So enthalten die laut VS zu schützenden Werte unter anderem die Unantastbarkeit einer parlamentarischen Parteiendemokratie und die Wahrung des Systems der Marktwirtschaft. Das Grundgesetz hingegen schreibt explizit keine Wirtschaftsordnung vor, als verfassungswidrig beobachtet werden aber trotzdem Gruppen, die eine Politik jenseits der Marktwirtschaft entwickeln wollen. Disqualifiziert werden somit emanzipatorische Bestrebungen, die sich z. B. für ein gerechteres Wirtschaften und direkte Demokratie einsetzen. Gruppen, die sich für diese Bestrebungen einsetzen, werden überwacht und diskriminiert. So greift der Geheimdienst in politische Auseinandersetzungen ein. Unter der Maßgabe die fdGo zu schützen, wird letztlich einer ihrer Grundwerte untergraben, nämlich die freie, d.h. auch vor staatlichen Eingriffen geschützte, demokratische Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Positionen.
Eine besondere Rolle spielt dabei die Extremismustheorie. Durch den Verfassungsschutzbericht von 1973 eingeführt, dient die Bezeichnung als „politischer Extremismus“ seither als Label für pauschal abzulehnende, da verfassungsfeindliche, Positionen. Diese einfache Einordnung erspart dem aktuellen System eine kritische Reflexion und Betrachtung alternativer Gesellschaftskonzepte. Alternativen Überlegungen und Konzepten werden in jedem Fall totalitäre und menschenverachtende Ziele unterstellt. Die Berichterstattung und Einschätzung durch den Verfassungsschutz verunglimpft die engagierten Gruppen und halten die Ideen aus dem Diskurs der Mehrheitsgesellschaft heraus. Durch diesen Mechanismus wird für den gesellschaftlichen Diskurs eine Vorauswahl getroffen, da einige Stimmen abgewertet werden. Gesellschaftskritik wird kriminalisiert. So wird der Inlandsgeheimdienst leider zur relevanten Größe in politischen Diskursen und Auseinandersetzungen, statt lediglich den Boden abzusichern, auf dem diese Auseinandersetzung stattfinden kann. Er ist selber Teil und Akteur des politischen Konflikts.
Auch VertreterInnen der Presse werden Opfer von Bespitzelung, wie jüngst wieder ein Fall aus Göttingen zeigt. Oft werden Personen über Jahre beobachtet und das nicht selten ohne konkreten Anlass. Wenn solche Überwachung bekannt wird, müssen die Betroffenen erfahren, dass ihre Privatsphäre über lange Zeit verletzt wurde, und das durch eine staatliche Institution, die dazu dienen soll, den Bestand ihres Grundrecht auf diese Privatsphäre – oder auf ihre Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit oder ihre Vereinigungsrecht – zu schützen. Der VS, der den Bestand der Grundrechte schützen soll, verletzt eben diese Grundrechte systematisch.
Die Grundlage für Beobachtung und Überwachung durch den Verfassungsschutz ist nach dem Verfassungsschutzgesetz, dass „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, dass jemand Bestrebungen gegen die fdGo oder gegen den Bestand des Staates unterstützt. Was „tatsächliche Anhaltspunkte“ sind hängt dabei von einer „Betrachtung insgesamt“ und „nachrichtendienstlicher Erfahrung“ ab. Strafverfolgungsbehörden, die Kriminalität zu ermitteln versuchen – wie Polizei und Staatsanwaltschaft –, sind in ihren Verdachtsannahmen von richterlichen Vorbehalten abhängig, die eine Observation genehmigen müssen. Das ist die rechtsstaatliche Grundlage, wenn es z. B. um Mord oder organisierte Kriminalität geht. Der Inlandsgeheimdienst kann Menschen beschatten, wenn seine „nachrichtendienstliche Erfahrung“ Anlass gibt, dass dieser Mensch in seiner politischen Aktivität bestimmte Bestrebungen unterstützt – ohne richterlichen Vorbehalt. Auch an das Rechtsstaatsprinzip, das als Teil der fdGo zu schützen wäre, ist der VS selbst nicht gebunden.
Eines der großen Projekte ist die Überwachung der NPD und anderer organisierter Nazis. Mit der Infiltrierung der NPD konnte der Verfassungsschutz keinen Beitrag zu ihrer Schwächung leisten, vielmehr stellen die V-Leute der NPD ihre Arbeit zur Verfügung um nicht aufzufallen. Durch ihren Einsatz wurde ein NPD-Verbot verhindert, da das BVerfG nicht eindeutig zwischen VS und NPD-Aktivitäten unterscheiden konnte und möglicherweise Teile der NPD durch V-Leute geführt werden.
Wir stellen somit fest, dass der Verfassungsschutz in der Praxis keinen substanziellen Beitrag zu antifaschistischer Arbeit leisten kann. Die Etablierung einer antifaschistischen Kultur und der direkte Widerstand gegen Nazis bleibt Aufgabe gesellschaftlicher Initiativen! Trotzdem stellen wir mit unseren Forderungen nicht das Prinzip der wehrhaften Demokratie in Frage. Es ist richtig, dass der Staat Nazis z. B. auf der Grundlage von § 130 StGB (Volksverhetzung) oder dem Verbot nationalsozialistischer Organisationen verfolgt. Das kann der Rechtsstaat jedoch viel besser auf der Grundlage von in Gesetzen geregelten Maßstäben durch seine Strafverfolgungsbehörden von Polizei und Staatsanwaltschaft tun, als durch einen in diesem Bereich kontraproduktiven Geheimdienst.
Inlandsgeheimdienste bergen immer die Gefahr, einen Staat im Staate zu bilden. In diktatorischen Systemen war und ist ihre Rolle immer die Unterdrückung und Denunziation innerhalb der Gesellschaft. In einem demokratischen System ist die Rolle einer solchen Institution widersprüchlich: der von der demokratischen Gesellschaft getragene und legitimierte Staat unterhält eine Behörde, die genau der Überwachung eben dieser Gesellschaft dient. Wir halten die Tätigkeit des Verfassungsschutzes für nicht vereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit. Geheimhaltung und geheime Aktivitäten über die erst im Nachhinein Rechenschaft abgelegt werden muss, sind mit einer Demokratie nicht vereinbar.
Wir fordern deshalb die Abschaffung aller Verfassungsschutzbehörden!