Zusammenfassung:
Dieser Antrag befasst sich mit einer Verbesserung der stationären und ambulanten Therapie, flächendeckenden Versorgung, Prävention und Entstigmatisierung.
Kurzfassung der Forderungen:
- Verkürzung der Wartezeiten auf einen Therapieplatz, Flächendeckung, Spezialisierung und Barrierefreiheit der Angebote
- Präventive Maßnahmen (Resilienzstärkung) insbesondere an Schulen
- Ausbau niedrigschwelliger Angebote und ambulanter Beratung, als Anlaufpunkt für eine erste Kontaktaufnahme, den Austausch Betroffener untereinander, die Durchführung präventiver Maßnahmen und die Vermittlung individuell passender weiterführender Angebote
- Notversorgung als Ergänzung zur Psychiatrie
- Besserer Übergang aus stationärer Therapie in den Alltag u.a. durch verbessertes Case-Management
- Allgemeinen Diagnoseschlüssel, um Diagnosen durch Hausärzt*innen bei Überweisungen zu vermeiden
- Betroffenen- und Bedürfnisorientierung, Individualisierung der Therapieangebote
Einleitung
Etwa ein Drittel der Menschen in Deutschland gibt in Befragungen an, an
psychischen Krankheiten zu leiden und etwa ein Viertel zeigt beispielsweise
Symptome einer depressiven Episode. Laut den Berichten von Krankenkassen steigt
auch die Krankschreibung von Arbeitnehmer*innen aufgrund von psychischen
Diagnosen extrem an. Nur etwas mehr als die Hälfte der Deutschen würde aber laut
Statistik dazu bereit sein, wegen psychischer Probleme in Behandlung zu gehen.
Das zeigt, wie groß die Angst vor Stigmatisierung bis heute ist.
Am erschreckendsten ist die Tatsache, dass die Zahl der Tode, die auf psychische
Störungen zurückzuführen sind, dramatisch ansteigt und 2018 alleine in
Deutschland bei circa 60.000 Menschen lag.
Vielen dieser Menschen kann durch eine bessere therapeutische Versorgung
geholfen werden. Der Zweck einer Psychotherapie ist die Verringerung von
individuellem Leidensempfinden. Daher fordern wir als Grüne Jugend einen
Paradigmenwechsel in den Bereichen der Versorgung, der Niedrigschwelligkeit, dem
Übergang zwischen stationärer und ambulanter Therapie, der Diagnostik und der
Bedürfnisorientierung der Psychotherapie!
Verbesserung der Versorgung
Im Durchschnitt dauert es 20 Wochen um einen Therapieplatz zu erhalten. Dabei
gibt es ein starkes Gefälle zwischen dem ländlichen Raum und den großen Städten.
In den wenigen Städten, in denen Psychotherapeut*innen ausgebildet werden, sind
mehr psychotherapeutische Praxen, doch selbst da ist kaum eine ausreichende
Versorgung gewährleistet.
Durch die schlechte Versorgungslage müssen Menschen mit psychischen Problemen
mehrere Personen anrufen, um auf eine Warteliste zu kommen. In psychischen
Notfällen sind sowohl Telefonate als auch Wartezeiten unerträglich und die
Psychiatrie ein stigmatisierter Ort, wodurch Menschen sich teilweise gar keine
Hilfe suchen. Durch eine drastische Verkürzung dieser Zeit und einen leichteren
Zugang wäre ein schwerer Verlauf psychischer Krankheiten meistens verhinderbar.
Für Menschen für die der Zugang im heutigen System erschwert ist – aufgrund
fehlender Deutschkenntnisse, fehlender Barrierefreiheit für Menschen mit
körperlichen und neurologischen Einschränkungen und Behinderungen, ihrer
Religion, ihres sozialen Status und Alters – müssen geeignete Therapieplätze
wohnortnah oder durch mobile Therapeut*innen zur Verfügung stehen.
Durch die wenigen verschiedenen von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten
Therapiemethoden gibt es kaum Spezialisierungen auf einzelne Krankheitsgebiete.
Durch spezialisiertere Versorgung ließen sich Krankheits- und Therapiezeiten
verkürzen.
Der neu eingeführte Studiengang zur Psychotherapie, der den bisherigen Weg über
einen Psychologie-Master und eine darauffolgende Ausbildung ablösen soll, kann
nur eine tatsächliche Verbesserung bewirken, wenn genügend Studienplätze
flächendeckend angeboten werden. Durch viele Praxismodule erhält der menschliche
Aspekt eine stärkere Berücksichtigung im Studium und der Berufseinstieg wird
erleichtert.
Bereits derzeit reichen die von den Krankenkassen zugelassenen
Psychotherapeut*innen nicht aus. Durch einen leichteren und schnelleren Zugang
würden sich die Zahlen der zu behandelnden Patient*innen deutlich erhöhen.
Dementsprechend muss gerade in der Anfangszeit einer Umstellung eine häufigere
Berechnung des Bedarfs erfolgen. Diese darf sich nicht nur auf die aktuellen
Zahlen der behandelten Personen stützen, sondern muss Faktoren berücksichtigen,
die die Suche nach einem Behandlungsplatz bisher verhindert haben. Ziel sollte
es sein, erschwerende Faktoren zu reduzieren und die Verfügbarkeit daran
anzupassen, statt durch Verknappung der Verfügbarkeit die Hilfesuche zu
erschweren.
Daher fordern wir:
- ein zentrales Anmelde- und Vermittlungsregister für Psychotherapeut*innen mit leichtem online Zugang
- eine durchschnittliche Wartezeit von 4 Wochen für einen allgemeinen Therapieplatz
- Geeignete Therapieangebote für alle Bevölkerungsgruppen
- das Agieren auf Basis angemessener, regelmäßig durchgeführter Bedarfsanalysen
- flächendeckende Studienplätze, ausreichend zur Deckung des erwartbaren Bedarfs
- einen hohen Praxisanteil während des Studiums
Niedrigschwelliger, leichter, schneller!
Wesentlich für eine Vermeidung lang andauernder psychischer Erkrankungen sind
eine rechtzeitige Behandlung und Präventionsmaßnahmen. Im Laufe eines Lebens
weist ein Großteil der Menschen zeitweilig Symptome einer psychischen Erkrankung
auf. Entscheidend für die psychische Gesundheit der Bevölkerung ist daher nicht
nur die Behandlung gefestigter psychischer Erkrankungen, sondern auch die
Prävention sowie die Vermeidung einer Verstetigung beginnender psychischer
Erkrankungen. Dafür ist es wesentlich, dass der Zugang zu Hilfsangeboten für
Betroffene so ausgestaltet ist, dass ein Beratungstermin bei Bedarf zeitnah
zustande kommt. Das erfordert die Verfügbarkeit eines unverbindlichen
Beratungsgesprächs ohne Hürden. Bereits das Wissen um den leichten Zugang zu
Hilfe im Bedarfsfall kann für Betroffene eine Erleichterung darstellen.
Um ein niedrigschwelliges und zugleich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse
Einzelner zugeschnittenes Angebot herzustellen, sollten Hilfsräume für Beratung,
vorläufige Diagnose und Anschlussbehandlung geschaffen werden. Diese können
zugleich dem Austausch für Betroffene und Angehörige dienen, dem*der Einzelnen
das Gefühl zu nehmen, mit der eigenen Erkrankung oder der eines Menschen im
näheren sozialen Umfeld allein zu sein.
Zudem sind insbesondere erste Beratungs- und Therapieangebote in verschiedenen
Formaten verfügbar zu machen, z.B. telefonisch oder online, damit eine
Kontaktaufnahme für alle Hilfesuchenden ortsunabhängig und in der für ihn*sie
passenden Form möglich ist.
Da psychische Probleme keine Besonderheit sind, sollten darüber hinaus breit
angelegte präventive Maßnahmen wie Resilienztrainings verstärkt werden. Solche
Angebote sind insbesondere an Schulen gezielt bekanntzumachen und durchzuführen.
Hierdurch kann nicht nur eine Kenntnis über Hilfsangebote erreicht werden,
sondern auch die Sensibilisierung für psychische Erkrankungen und die
Selbstverständlichkeit ihrer Thematisierung gefördert werden. Außerdem werden
die psychischen Ressourcen gestärkt und der Umgang mit Stresssituationen und
alltäglichen Belastungen oder Gefühlen wie bspw. Aggressionen wird erleichtert.
Durch die Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde und der
Akutbehandlung ist die Verfügbarkeit kurzfristiger Hilfsangebote in den letzten
Jahren stark verbessert worden. Dennoch ist es erforderlich, dass die Dauer bis
zum Beginn einer solchen Erstbehandlung weiter sinkt. Eine Wartezeit von
durchschnittlich über 5 Wochen bis zum Erstgespräch ist noch immer zu lang.
Wenn psychische Erkrankungen in einem frühen Stadium behandelt oder durch
präventive Maßnahmen von Vornherein vermieden werden, nützt dies nicht nur den
unmittelbar Betroffenen, sondern schafft auch freie Behandlungskapazitäten.
Daher fordern wir:
- eine Verkürzung der Wartezeiten bis zum Ersttermin
- den Ausbau von Beratungsstellen, die als Anlaufpunkt für eine erste Kontaktaufnahme, den Austausch Betroffener untereinander, die Durchführung präventiver Maßnahmen und die Vermittlung individuell passender weiterführender Angebote dienen
- den Ausbau niedrigschwelliger Angebote die ortsungebunden und kurzfristig stattfinden können
- mehr präventive Maßnahmen, um psychische Erkrankungen ganz zu vermeiden, insbesondere in Schulen
- Schnelle, leicht zugängliche und effektive Notversorgung für akute Fälle außerhalb von psychiatrischen Einrichtungen
Übergang zwischen stationären Aufenthalten und Alltag
In vielen Fällen reicht ambulante Therapie nicht aus – besonders in akuten
Krisen, bei schwierig zu behandelnden Krankheitsbildern oder dringend benötigtem
Abstand von der bisherigen Umgebung ist ein stationärer Aufenthalt in
psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtungen von Nöten. Hierbei gelangen
die Patient*innen in einen abgegrenzte Raum, in dem sie von Menschen umgeben
sind, die ebenso psychische Probleme haben, und in der sie sich (bestenfalls)
voll und ganz auf die Therapie konzentrieren können, da sie nicht arbeiten oder
sonstige alltägliche Dinge erledigen müssen. Der anschließende Übergang zurück
in den Alltag kann daher sehr kritisch sein und eine Unterstützung bei der
Anwendung des Gelernten auf das eigene alltägliche Leben ist nötig. Durch die
mangelnde Zeit in der stationären Therapie wird eine Vorbereitung auf das Leben
nach der Klinik jedoch kaum ermöglicht. Da sie sich häufig mitten im
Therapieprozess befinden, steht die Zeit nach dem Aufenthalt nicht im Fokus.
Falls die Patient*innen sich nicht bereits zuvor in ambulanter Therapie befunden
haben, kommt hinzu, dass keine anschließende Versorgung garantiert ist. Die
behandelten Personen haben weder Energie noch Zeit dafür sich während des
stationären Aufenthalts um einen ambulanten Platz zu kümmern. Auch die
Therapeut*innen besprechen häufig nicht mit den Patient*innen, welche
Anschlusstherapie sie empfehlen würden – obwohl persönliche Empfehlungen die
Therapieakzeptanz steigern. Außerdem sind die Wartezeiten so lange, dass eine
Therapie direkt im Anschluss kaum möglich ist.
Indem jede Person in stationären psychiatrischen Einrichtungen durchgängig
eine*n Ansprechpartner*in bekommt, der*die für die Erarbeitung langfristiger
Perspektiven und das Mitdenken von Anschlusstherapie etc. zuständig ist, kann
verhindert werden, dass diese Aufgabe während der regulären Therapie erfolgen
muss. Um eine gute Fortführung der Therapie im ambulanten Bereich zu
ermöglichen, ist eine gute Kommunikation zwischen stationären und ambulanten
Therapeut*innen sinnvoll. Somit könnte die Therapie an dem Punkt weiter geführt
werden, an dem sie durch das Ende des stationären Aufenthalts beendet werden
musste. Eine ambulante Weiterbehandlung ist wegen der schlechten Versorgung
bisher nicht sichergestellt. Hier kann geholfen werden, indem beispielsweise
Plätze für stationär behandelte Patient*innen reserviert werden. Zur
Überbrückung eventueller Wartezeiten können (teil-)digitale Angebote, wie
beispielsweise Chats mit Therapeut*innen oder app-basierte Programme,
weiterhelfen und eine Struktur mitaufbauen sowie Halt geben.
Der Übergang in die Arbeitstätigkeit oder das schulische Umfeld muss sanfter
gestaltet werden, beispielsweise durch den Ausbau von teilstationären
Alternativen zur Tagesklinik. Zwar bieten Tageskliniken teilstationäre
Behandlungen an, jedoch ist durch die Behandlungszeiten vor- und nachmittags
währenddessen kein Wiedereinstieg in Beruf und Schule möglich. Durch andere
Angebote könnte unter therapeutischer Begleitung behutsam in den Alltag
eingestiegen werden.
Daher fordern wir:
- ein lückenloses Case Management durch den*die Ansprechpartner*in
- klare Therapieformempfehlungen oder persönliche Therapeut*innenempfehlungen durch stationäre Therapeut*innen
- eine verbesserte Kommunikation zwischen stationärer*m und ambulanter*m Therapeut*in
- das Sicherstellen von ambulanter Weiterbehandlung
- (teil-)digitale Anschlussangebote
- die Etablierung teilstationärer Behandlungsmöglichkeiten, die besser auf den Arbeitsalltag abgestimmt sind
Umdenken von Diagnosen
Psychische Krankheiten werden in Deutschland Mithilfe des ICD 10, ab 2022 mit
dem ICD 11 diagnostiziert. Dort sind verschiedene Symptome aufgelistet, von
denen eine bestimmte Anzahl vorliegen muss, damit eine Diagnose gestellt werden
kann.
Diagnosen sind in erster Linie dafür da, dass eine ordnungsgemäße Abrechnung bei
der Krankenkasse und eine kurze Weitergabe von Informationen an Mitbehandelnde
erfolgen kann. Eine vorläufige Diagnose muss jedoch bereits von der*m
Hausärztin*arzt gestellt werden, um überhaupt eine*n Psychiater*in aufsuchen zu
können. Diese Praxis schadet jedoch den Patient*innen, da dadurch einerseits die
zukünftig behandelnden Personen geprägt werden und möglicherweise nicht mehr
ausreichend in andere Richtungen schauen, andererseits eine gestellte Diagnose
Ängste verursacht, da nicht ausreichend Wissen vorhanden ist, um die Bedeutung
dieser Diagnose zu bewerten.
Für das Stellen einer passenden Diagnose ist eine fachlich geeignete Person
notwendig. Eine geeignete Diagnostik erfordert eine körperliche Untersuchung
einschließlich Labortests, um andere Ursachen, wie eine Minderfunktion der
Schilddrüse bei depressiven Symptomen auszuschließen, es müssen Fragebögen zur
Symptomatik ausgefüllt und ein ausführliches Untersuchungsgespräch geführt
werden, teilweise wird auch ein Gespräch mit Bekannten bzw. der Familie
benötigt. Hausärzte*innen können diese Fachkenntnisse ohne das entsprechende
Fachstudium kaum haben. Zwar ist bei unbekannten Problemen häufig der*die
Hausärztin*arzt erste*r Ansprechpartner*in, jedoch kann es durch den Zwang, sich
erst dort zu öffnen, um überhaupt die Möglichkeit für einen fachärztlichen
Termin zu erhalten dazu kommen, dass einige Personen mit psychischen
Schwierigkeiten sich stattdessen gar keine Hilfe suchen. Der Sinn einer
Überweisungspflicht erschließt sich nicht, weil Personen, die keine Hilfe
benötigen auch nicht zu einer*m Psychiater*in gehen würden.
Daher fordern wir:
- dass psychiatrische Diagnosen ausschließlich nach einer geeigneten Diagnostik gestellt werden dürfen und bis dahin eine Behandlung über eine allgemeine Angabe, dass eine psychische Krankheit vorliegen könnte, erfolgt
- dass die Abrechnung auch ohne eine vorliegende Überweisung erfolgen kann
Bedürfnisorientierung
Hilfe bei psychischen Problemen sollte genauso individuell sein, wie die
Menschen, die sie benötigen.
Bei der somatischen (körperlichen) Medizin würde niemand für eine Person mit
Beinbruch dieselbe Behandlung vorschlagen, wie für jemanden mit Krebs, in
Psychiatrie und Psychotherapie ist das jedoch Alltag. Es gibt nur vier von der
Krankenkasse bezahlte Therapiemethoden, die jedoch nicht für alle Personen
geeignet sind. Ebenfalls wissenschaftlich erforschte und individuell wirksame
Therapie, wie etwa die Hypnose, wird von der gesetzlichen Krankenkasse nicht
übernommen. Zwar sind die gängigen Therapieformen und -formate für die meisten
Personen wirksam, doch ist es unverantwortlich, die Menschen, bei denen dies
nicht ausreichend ist, genauso in diese Muster zu pressen. Manchmal reichen die
bewilligten Stunden nicht aus oder es wird bestimmte Hilfe benötigt, die nicht
dem Üblichen entspricht.
Besonders betroffen von einer Anpassung der Patient*innen an das Therapiesetting
ist der stationäre Bereich. Dort gibt es kaum Spielräume, um die
Therapieangebote anzupassen und wenn Patient*innen nicht den Anforderungen
entsprechen, werden diese möglicherweise entlassen, ohne die dringend benötigte
Hilfe zu erhalten. Das kann dazu führen, dass diese in Zukunft keine Hilfe mehr
suchen. Die Pflege und Versorgung von Menschen mit psychischen Krankheiten
erfolgt teilweise ohne fachspezifische Weiterbildungen und ohne konkretes Wissen
über Krankheitsbilder, wodurch die Behandlung häufig mangelhaft, manchmal sogar
schädlich ist.
Im therapeutischen Umfeld wird leider teilweise noch immer nicht zwischen
Symptomen der Krankheit und der „normalen“ Persönlichkeit unterschieden. Durch
den Kontakt mit vielen Personen mit psychischen Krankheiten wird das Verhalten
und die Individualität von Behandelnden häufiger als krank angesehen. Die
Behandlung jedoch sollte nicht dazu dienen, einen „normalen“ Menschen zu
erschaffen, sondern ausschließlich den individuellen Leidensdruck zu mindern.
Medikamente gegen psychische Krankheiten (Psychopharmaka) können gemeinsam mit
anderer Therapie (als Pharmakotherapie) einen entscheidenden Beitrag bei der
Behandlung darstellen, da teilweise ohne medikamentöse Unterstützung eine
Therapie nicht möglich wäre, deswegen ist die Verwendung dieser zu befürworten.
Die Zahlen der verschriebenen Dosen von Psychopharmaka haben in den letzten 10
Jahren gravierend zugenommen. Einerseits ist das auf eine beginnende
Entstigmatisierung von Medikamenten und eine bessere Akzeptanz in der
Bevölkerung zurückzuführen, andererseits jedoch auch auf teilweise leichtfertige
Einnahme ohne vorliegende Notwendigkeit. Eine Aufklärung über tatsächlichen
Nutzen und die Nebenwirkungen sowie Langzeitfolgen erfolgt selten. Das gilt
insbesondere in der Hausärzt*innenpraxis und der geschlossenen Psychiatrie.
Patient*innenrechte sind wichtig und Betroffene können durch die Verschreibung
und Gabe von Medikamenten ohne ausführliche Suche nach alternativen und der
individuellen Abwägung von Vor- und Nachteilen nach dem Absetzen negative
Auswirkungen haben, ohne sich selbst für das Risiko entschieden zu haben.
Bei Menschen mit mehreren psychischen Krankheiten müssen die behandelden
Personen entsprechend geschult und die Umgebung angepasst sein, um eine
effektive und wirksame Therapie zu gewährleisten. Wenn mehrere psychische
Krankheiten vorliegen, dürfen diese nicht als Einzelsymptome behandelt werden.
Eine Behandlung der einen Krankheit ohne gleichzeitig die andere zu
berücksichtigen, ist nicht nur für den*die Patient*in sehr anstrengend, sondern
kann zu einer Problemverlagerung oder -verschlimmerung führen. Gleiches gilt bei
zusätzlichem Vorliegen einer körperlichen Krankheit. Diese können Ursache,
Auswirkung oder auch gleichzeitig mit einer psychischen Krankheit aufgetreten
sein. Körperliche Gesundheit sorgt für psychisches Wohlbefinden, weshalb auch
Sport bei leichten Depressionen helfen kann, psychisches Wohlbefinden begünstigt
wiederum auch körperliches. In jedem Fall wird anstelle einer Fokussierung auf
einzelne Symptome eine umfassende Therapie benötigt.
Daher fordern wir:
- eine Anpassung der Therapieformen im stationären Bereich an die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Betroffenen und bei Bedarf mehr Einzeltherapiezeiten und Rückzugsräume wie Einzelzimmer
- die Professionalisierung und Spezialisierung der Therapieangebote auf einzelne Störungsbereiche und Altersgruppen
- das Eingehen auf die eigene Persönlichkeit und das individuelle Problemempfinden im therapeutischen Umfeld (Psychotherapie, Psychiatrie)
- die Verschreibung von Psychopharmaka nur in Akutfällen oder als Pharmakotherapie nach ausführlicher Aufklärung über Nebenwirkungen und Absetzsymptome und gemeinsame Abwägung der Vor- und Nachteile durch eine fachlich geeignete Person (Psychiater*in) und Betroffene, auch im geschlossenen Bereich
- eine bessere Einstellung der Therapieangebote auf gleichzeitiges Auftreten körperlicher oder weiterer psychischer Krankheiten
Entstigmatisierung
Häufig werden Menschen, die eine psychische Krankheit haben als nicht „normal“
bezeichnet und stigmatisiert. Beispielsweise neigen Arbeitgeber*innen bis heute
dazu, vorrangig Personen ohne eine psychische Erkrankung einzustellen oder zu
befördern. Zwar ist die Angabe der eigenen psychischen Probleme nicht
verpflichtend, jedoch kann diese Form der Stigmatisierung und das Wissen darum
dafür sorgen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen sich weniger häufig in
Behandlung begeben oder aber sich zusätzlich bei der Arbeit und in der Schule
belasten, um „normal“ zu wirken oder bestehende Vorurteile nicht zu bestätigen.
Die bereits zuvor beschriebenen Sensibilisierungsmaßnahmen, wie etwa
Resilienztrainings in Bildungseinrichtungen, können zu einer Entstigmatisierung
beitragen. Darüber hinaus sollten aber auch Arbeitgeber*innen und
Mitarbeiter*innen von Bildungseinrichtungen geschult werden um bei psychischen
Problemen und Krankheiten Hilfsmöglichkeiten anbieten zu können.
Auch das Bild von stationären Einrichtungen muss gewandelt werden. Bis heute
sehen viele Menschen darin die „Klapse“ für verrückte Menschen. Dieses Bild wird
unter anderem durch eine verzerrte Darstellung in unterschiedlichen Medien
geprägt. Durch Aufklärung über psychische Krankheiten kann dieses Stigma
abgebaut werden. Eine Entstigmatisierung bedeutet auch das gesellschaftliche
Verständnis dafür, dass niemand „normal“ werden muss.
Daher fordern wir:
- dass Arbeitgeber*innen und Mitarbeiter*innen in Bildungseinrichtungen zu den häufigsten psychischen Krankheiten, den Hilfsmöglichkeiten und Problemen geschult werden
- dass aufgrund einer psychischen Krankheit keine Nachteile bei Beruf oder dem individuellen Bildungsweg entstehen dürfen
- eine ehrliche und wahrheitsnahe Darstellung von psychischen Problemen sowie Therapien und therapeutischen Einrichtungen in den öffentlich-rechtlichen Medien
- eine gesellschaftliche Entstigmatisierung von Menschen mit psychischen Problemen