Grundsätzlich erfolgt die Besteuerung der Einkünfte gewerblicher Betriebe nach dem tatsächlich erzielten Gewinn. Verwunderung wird dies sicher nicht auslösen, denn welcher Maßstab sollte sonst für eine Besteuerung herangezogen werden, die sich an der Belastbarkeit des Einzelnen und dem allgemeinen Gleichheitssatz unseres Grundgesetzes orientiert?
Doch das deutsche Steuerrecht bietet Ausnahmen. Eine hiervon, deren Bekanntheit sowohl gemessen an ihrer Diskrepanz zu diesem Grundsatz als auch ihrer betragsmäßigen Auswirkung verschwindend gering ist, ist die Tonnagebesteuerung.
Diese Regelung findet sich in § 5a des Einkommensteuergesetzes. Bereits der Buchstabe hinter der Nummer des Paragraphen zeigt an: Erst nachträglich hat sich diese Norm ins Steuerrecht hineingemogelt. Im Jahr 1998 ist sie im Rahmen eines Gesetzes aufgenommen worden, dass zum Ziel hatte, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schifffahrtsbranche zu stützen.
Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn pauschal anhand der Nettoraumzahl (NRZ), einer Maßeinheit für die Größe eines Schiffes, ermittelt. Pro Betriebstag beträgt der angesetzte Gewinn für 100 NRZ in Abhängigkeit von der Gesamtgröße des Gefährts zwischen 0,92 und 0,23 Euro. Einzige zwingende Voraussetzungen für das Wahlrecht zur Inanspruchnahme der Pauschalierung sind die Ansässigkeit der Geschäftsleitung in Deutschland und der Betrieb des Handelsschiffes im internationalen Verkehr. Grundsätzlich ist zudem die Eintragung in ein deutsches Seeschiffsregister erforderlich. Im internationalen Vergleich müssen dadurch erhöhte Anforderungen hinsichtlich Besatzungszahl, Lohnniveau und Sicherheitsstandards erfüllt werden. Diese können aber teilweise umgangen werden, weil für einen gewissen Anteil der tatsächlich genutzten Schiffe die Eintragung entbehrlich ist, wenn neben eigenen Schiffen, die die Voraussetzungen erfüllen, weitere gecharterte Schiffe betrieben werden.
Durch die pauschale Tonnagebesteuerung ergibt sich eine absurde Konstellation:
Ziel der Norm soll die Entlastung der deutschen Schifffahrtsbranche in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Bedingungen sein. Aufgrund der immer gleichen Höhe des festgesetzten Tonnagegewinns pro Jahr sind Reeder jedoch genau dann, wenn sie Verluste erwirtschaften, durch diese Sonderform der Besteuerung übermäßig belastet, da sie ab der erstmaligen Inanspruchnahme für zehn Jahre bindend ist. Erzielen Reeder hingegen Gewinne, werden diese regelmäßig nicht annähernd im üblichen Maße der Besteuerung unterworfen. Dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Grundidee bezüglich der Höhe der Ertragsbesteuerung, entspricht dies nicht im Geringsten.
Der Vorteil für Schifffahrtsunternehmen ist beachtlich. Durch die Tonnagebesteuerung kann es zum Beispiel dazu kommen, dass mit einem Schiff in
einem Wirtschaftsjahr mehr als 800.000 Euro Gewinn erzielt werden, jedoch nur etwa 35.000 Euro – ein Bruchteil – besteuert werden.
In einer Auswertung des Deutschen Bundestages zu Beihilfen und Subventionen für die maritime Wirtschaft in Europa aus 2016 wird lapidar darauf verwiesen, dass Angaben zum finanziellen Gesamtvolumen der Steuermindereinnahmen nicht vorlägen, da keine “Schattenveranlagung“ nach den regulären Gewinnermittlungsvorschriften erfolge. Folglich ist auch im aktuellen Subventionsbericht der Bundesregierung kein konkreter Umfang benannt. Die Politik scheint in diesem Fall gar nicht genau wissen zu wollen, wie hoch die von ihr veranlassten Steuermindereinnahmen sind. 2008 wurden sie noch mit einem Betrag von 500 Millionen Euro veranschlagt, die letzten Schätzungen für 2011 und 2012 lagen bei 140 bis 520 Millionen Euro.
Ziel von Subventionen ist regelmäßig die Unterstützung von Wirtschaftszweigen und Institutionen, die ohne solche am Markt nur geringe Überlebenschancen hätten. Es ist zweifelhaft, ob dies für die deutsche Seeschifffahrt überhaupt gilt. Denn wenn eine Option zur Tonnagebesteuerung, die nur im Gewinnfall vorteilhaft ist, üblicherweise erfolgt, werden offenkundig Gewinne erzielt.
Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung der Tonnagebesteuerung geht hervor, dass vor allem der Trend zur Ausflaggung deutscher Schiffe gebrochen werden sollte. Dieses Ziel hat die Tonnagebesteuerung jedoch verfehlt: Ende Januar 2018 sind nur 325 Schiffe der deutschen Handelsflotte unter deutscher Beflaggung gefahren, 1998 waren es noch 844. Vorrangig sollte die Beschäftigung deutscher Seeleute gefördert werden. Auf deutschen Handelsschiffen sind derzeit nur etwa 6.500 deutsche Beschäftigte angestellt, mit sinkender Tendenz – die Anzahl der unmittelbar zu sichernden Arbeitsplätze ist in Anbetracht der gewährten Subventionen sehr überschaubar. Darüber hinaus soll die Subventionierung der Seeschifffahrt der Ausbildungsförderung dienen. Für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen werden jedoch bereits gesonderte Zuschüsse gewährt. Diese summieren sich mit weiteren Zuschüssen zu den Lohnnebenkosten jährlich auf ein Volumen von etwa 58 Millionen Euro. Die Tonnagebesteuerung ist nicht einmal verbindlich an den Erhalt bestimmter Arbeitsplätze oder die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen geknüpft – eine konkrete Gegenleistung für die verminderte Besteuerung ist daher ebenso wenig zu erkennen wie die Sicherstellung des Förderungszweckes.
Eine staatliche Unterstützung sollte möglichst vielen Menschen zugutekommen, da sie von der Gesamtheit der Bevölkerung finanziert wird. Die Anzahl der Reeder ist jedoch verschwindend gering und diejenigen, die sich als Anleger an Schifffahrtsgesellschaften beteiligen, verfügen meist über erhebliche Vermögenswerte. Häufiger Grund für die Beteiligung an Schifffahrtsgesellschaften ist nicht allein die Aussicht auf einen hohen Gewinnanteil, sondern auch die Steuerersparnis gegenüber Einkünften aus anderen Vermögensanlagen. Denn die der Besteuerung zugrundegelegten Beträge bleiben regelmäßig deutlich hinter der Summe der tatsächlich ausgezahlten Gewinnanteile zurück.
Nicht einmal der bürokratische Aufwand wird durch das vermeintlich vereinfachte pauschale Verfahren vermindert: ein üblicher Jahresabschluss muss aus handelsrechtlichen Gründen und bei Personengesellschaften zwecks der Verteilung des tatsächlichen Gewinn auf einzelne Anteilseigner ohnehin aufgestellt werden.
Auch sonst erzielt der Staat keine nennenswerten Einnahmen aus der Seeschifffahrt: Nach § 4 Nr. 2 UStG sind die erzielten Umsätze vollumfänglich
von der Umsatzsteuer befreit. Es handelt sich sogar um sogenannte privilegiert steuerfreie Umsätze: ein Abzug der Umsatzsteuer auf Eingangsleistungen als Vorsteuer kommt dennoch in Betracht. Im Ergebnis wird den Reedern jedes Jahr ein Umsatzsteuerguthaben ausgezahlt.
Außergewöhnlich ist, dass in der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge aktuell keinerlei Lohnsteuer durch die Arbeitgeber an den Staat abgeführt wird. Bis Mitte 2016 war es den Arbeitgebern bereits erlaubt, 40 Prozent der von den Beschäftigten einbehaltenen Lohnsteuer nicht an die Finanzverwaltung weiterzuleiten, sondern selbst zu behalten. Durch eine Gesetzesänderung erfolgt seither befristet bis Ende 2020 sogar ein Verzicht des Staates auf 100 Prozent der in der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge einbehaltenen Lohnsteuer. Die Lohnsteuer stellt eine Erhebungsform der Einkommensteuer bei nichtselbständig Beschäftigten dar. Der durch einen Arbeitgeber einbehaltene Betrag wird bei einer Einkommensteuerveranlagung
eines Arbeitnehmers auf die zu zahlende Steuer angerechnet. Bei Beschäftigten der Seeschifffahrtsbranche bedeutet das: es wird aktuell ein
Betrag als gezahlte Steuer angerechnet, den der deutsche Staat nie erhalten hat. Allein die Steuermindereinnahmen, die sich gegenüber einer regulären Lohnsteuerabführung ergeben, belaufen sich jährlich auf etwa 75 Millionen Euro.
Problematisch ist, dass auch die übrigen EU-Staaten den bei ihnen ansässigen oder unter der jeweiligen Landesflagge fahrenden Unternehmen der
internationalen Seeschifffahrt Beihilfen in ähnlichem Umfang zukommen lassen. Derzeit wird der Subventionswettstreit um die maritime Wirtschaft
zwischen den EU-Ländern mit allen Mitteln ausgetragen und schadet letztlich allen Mitgliedsstaaten. Es besteht folglich ein Neuregelungsbedarf zur
Vereinheitlichung auf EU-Ebene.
Aktuell ergibt sich folgende Lage: Entweder die erheblichen Subventionen zugunsten der Seeschifffahrt werden an einen nicht mehr annähernd eigenständig lebensfähigen Wirtschaftszweig vergeben, der gemessen an seiner absoluten Beschäftigtenzahl nur sehr wenigen Menschen ein Einkommen sichert. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob nicht durch Förderung anderer Branchen mit besseren Zukunftsaussichten mit entsprechend hohen Subventionen eine wesentlich höhere Anzahl an Arbeitsplätzen gesichert oder geschaffen werden kann. Oder – schlimmer noch – die Subventionen, allen voran die Tonnagebesteuerung, kommen Reedern zugute, die diese gar nicht zum Erhalt ihrer wirtschaftlichen Existenz benötigen. Dann führen sie lediglich dazu, dass diese höhere tatsächliche Einkünfte nach Steuern zurückbehalten – es ergibt sich also eine Bereicherung Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit.
Das zusammenfassende Ergebnis der Tonnagebesteuerung ist vernichtend: der Förderungszweck wird weitgehend verfehlt, die Steuermindereinnahmen sind beträchtlich, die Anzahl der für deutsche Arbeitnehmer gesicherten Arbeitsplätze ist gering.
Unabhängig davon, ob man die Seeschifffahrt als erhaltenswerten Wirtschaftszweig für die deutsche Volkswirtschaft erachtet und ob die Tonnagebesteuerung zum Zeitpunkt ihrer Einführung legitim gewesen ist: Sie sollte derart nicht bestehen bleiben. Zwar müssen Übergangsregelungen für die Rückkehr zur regulären Besteuerung getroffen werden, ansonsten hat es die Politik jedoch ungewohnt leicht: es muss nicht verändert, neu ausgerichtet oder modifiziert werden, sondern die Norm kann ersatzlos abgeschafft werden.
Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert daher die politischen Entscheidungsträger insbesondere der Fraktion der Grünen im Bundestag auf, sich für eine umgehende Abschaffung der Tonnagebesteuerung und die Überprüfung anderer Steuervorteile der Seeschifffahrtsbranche in Deutschland einzusetzen und darüber hinaus für einen einheitlichen Abbau ungerechtfertigter Steuersubventionen auf europäischer Ebene einzutreten.