30. Mai 2022

IGELPOST am 30.04.2022



Diese Woche:

Gerechtigkeit durch Übergewinnsteuer? | Krisenlösung fossiles Senegal? | Feminismus und Vollverschleierung

Profiteure des Angriffskriegs – Gerechtigkeit durch Übergewinnsteuer? 💸⚖️

Während der grausame Angriffskrieg Russlands unzählige Opfer fordert, gewinnen andere Parteien am Horror des Krieges. Die vorgeschlagene Lösung: eine Übergewinnsteuer. Diese sieht eine Steuer für diejenigen Akteur*innen vor, die aufgrund des Krieges einen signifikanten Mehrumsatz zu verzeichnen haben. Dazu zählen derzeit primär Waffenproduzierende, Bauern, Bäuerinnen und vor allem: Energiekonzerne. Dass Unternehmen am Leid des Krieges verdienen, geht gegen das Gerechtigkeitsempfinden – doch wie umsetzbar und sinnvoll ist eigentlich eines solche Besteuerung? 🧐💸

In der aktuellen Debatte wird vor allem die Besteuerung von Energiekonzernen vorgesehen. Dies ist einerseits sinnvoll, da diese durch den günstigen An- und teuren Verkauf von Gas und Öl überdurchschnittlich gut verdienen. Andererseits ist dieses Vorgehen hinsichtlich anderer Kriegsgewinner*innen inkonsequent: Bauern und Bäuerinnen werden (verständlicherweise) nicht zu der besteuerungsanvisierten Gruppe gezählt, dennoch gehören auch sie zu den Gewinner*innen. Problematisch ist zudem die Berechnung des Übergewinns. Der erzielte Nettogewinn muss hierbei mit einer dem Normalgewinn entsprechenden Referenzmenge verglichen werden, welche jedoch nach verschiedenen Methoden nur schwierig zu bestimmen ist. 📈

Dennoch: das Argument der FDP, es gebe eine ohnehin hohe Steuer auf Unternehmensgewinne, die zudem der ökologischen Transformation durch Reinvestition dienen würden, ist nicht stringent: denn wie klimafreundlich können Unternehmen wie Shell werden? Das Unternehmenskonzept basiert auf Umweltzerstörung und daran ändern auch Innovationsinvestitionen nichts. ❌🏭

Bisher getroffene Maßnahmen wie Tankrabatte spielen Energiekonzernen in die Hände. Eine sektorspezifische Besteuerung hingegen ist juristisch schwer durchzusetzen. ⚖️

Was bleibt, ist die Möglichkeit der Umsatzbesteuerung, nicht die des Gewinns: so wird nicht nur verhindert, dass Gewinne ins Ausland verlagert werden, sondern auch der Umsatzbetrag ist leichter zu ermitteln.

 

Zum Weiterlesen…

📰 Übergewinnsteuer – Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags

📰 Schranken für Energiekonzerne – taz.de

🎧 EU-Linke fordert eine „Übergewinnsteuer“  – deutschlandfunk.de

 

 

Krisenlösung fossiles Senegal? – Leider nein ❌️

Vergangene Woche besuchte Bundeskanzler Scholz zum Auftakt seiner Afrikareise den Senegal. Dort besprach er unter anderem den Aufbau eines Gashandels der beiden Länder, da der Senegal über ein großes Gasfeld verfügt. Dieses Vorhaben brachte ihm Kritik von Klimaaktivist*innen ein. 🇸🇳🌳

Luisa Neubauer von Fridays for Future Deutschland übt Kritik: mit den forcierten Gasprojekten sind die Pariser Klimaziele nicht erreichbar. Dabei unterstützt sie Yero Sarr, einen senegalesischen fff-Aktivist. Denn: eine Gasförderung steigert die Emissionen.❌️🌱

Natürlich ist es richtig und wichtig, sich vom Gas autoritärer Staaten loszusagen, was auch eines von Scholz‘ Zielen ist. Aber durch die Förderung von nicht-russischem Gas, zum Beispiel aus Katar oder eben dem Senegal, entfernt sich die Bundesregierung weiter vom Ausbau erneuerbarer Energien und dem Ziel, autoritäre Staaten nicht noch stärker zu unterstützen und sich von ihnen abhängig zu machen. 🚫☀️🌬

Die Regierung hatte bereits angekündigt, nachhaltige Projekte unter anderem im Senegal unterstützen zu wollen. Aber das war schon länger geplant und ist bis jetzt nicht umgesetzt worden. 💶🤷

Eins ist jedenfalls klar; wir müssen den Ausbau von Gasförderung aufhalten, auch in anderen Ländern. Denn wenn wir weiter bei Gas bleiben, wird das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen sein. ✊️⏱️

 

Zum Weiterlesen…

🐤 Tweet von Luisa Neubauer

📰 Kritik von FFF – RND

📰 Scholz‘ Afrikareise – taz

 

 

Feminismus und Vollverschleierung – Nicht nur in Afghanistan eine Debatte

Die Taliban in Afghanistan zwingen Frauen sich vollkommen zu verschleiern – jetzt auch Moderatorinnen und Journalistinnen. Frauen wehren sich. Die nun Betroffenen kämpften dagegen, doch der Druck war zu groß. Welche Bedeutung hat der dortige feministische Kampf gegen Verschleierung für uns hier? ☪️♀️🤔

Nachdem die US-Army abzog, war klar, dass die Taliban wieder die Kontrolle über Afghanistan erlangen. Die in Pakistan entstandene islamistische Gruppe regierte früher und heute nicht auf Grundlage einer demokratischen Verfassung, sondern islamischen Recht. Ihre Lesart des Koran bedeutet ein islamisches Patriarchat, in dem die Frau sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen soll und im Haushalt für Sauberkeit, Essen, Sex und Erziehung verantwortlich ist. Damit direkt von Außen klar ist, wer Frau und Mann ist, muss die Frau sich verhüllen. Religiös wird dies mit einer vermeintlichen Verführungskraft unverhüllter Weiblichkeit begründet. Anders gesagt: der Mann könne sich beim Anblick von weiblichen Körpern aufgrund seines vermeintlich omnipräsent-zwingenden Sexualtriebs nicht zurückhalten; der Mann wird hypersexualisiert. Auf Seiten der Frauen führt dies zum allseits im Antifeminismus beliebten Heilige-Oder-Hure-Motiv: Die verhüllte, dem Ehemann treu ergebene Frau ist die Heilige und die unverhüllte, emanzipierte Frau eine Hure. Damit bläst dieses Dogma ins selbe Horn, wie christliche oder nationalistische Rechte, die eine rigide Sexualmoral und ein rückständiges Geschlechterbild propagieren. 🙇‍♀️🙇😡

Weil feministische Afghan*innen vor Ort sich das, wie viele Frauen im Iran, nicht gefallen lassen und gegen die islamisch-patriarchale Unterdrückung rebellieren, solidarisieren sich Feminist*innen aus Deutschland und der Welt mit den Frauen vor Ort. Für alle ist klar: religiöses Patriarchat gehört überwunden. Denn: Emanzipation kann nur universell sein.

Genau da wird es spannend für uns hier in Deutschland. Auch wenn keine gesetzliche Grundlage Frauen zur Verhüllung zwingt, so gibt es starke konservativ- bis radikalislamische Communities und Imame, die die Verhüllung der Frau propagieren. Wächst ein Mädchen nun in einer konservativ-islamischen Familie oder Umgebung auf, muss kein mit direkter Gewalt sanktionierter Zwang vorherrschen. Es kann aber immens starker sozialer Druck entstehen, wenn zum Beispiel die Schwester bereits früh ein Kopftuch trägt, Freundinnen auch, vielleicht sogar einen Tschador oder eine Burka. Oder wenn die Eltern einfach im Grundschulalter dem Kind das Kopftuch aufsetzen, wie in anderen Familien eine Kette mit einem Kreuz oder besonders ‘weibliche’ Kleidung kaufen. Das Kind trägt es einfach und denkt sich nichts dabei. Aber ist das freiwillig?

Die Frage der Freiwilligkeit und des Kopftuchs ist ein bundesdeutsche Debatte, die auch in der politischen Linken nicht abschließend geklärt ist. Es gibt jene, die aus Rücksicht auf islamische Kultur und aus antirassistischer Absicht “Pro-Kopftuch” sind. Und jene, die in linker Tradition eine umfassende Kritik der Religion einfordern, die auch den Islam und somit ein vom Koran abgeleitetes patriarchales Verständnis bekämpfen wollen. Dabei reflektieren sie, wie die muslimische Feministin Sineb El Masrar, die Autorin des Buches über Incels Veronika Kracher und die femnistische Gesellschaftskritikerin Koschka Linkerhand, die ständige islamfeindliche und sexistische Diskriminierung von Musliminnen. 😳♀️

Sie alle plädieren für eine emanziptorische Kritik des Islam, befürworten Strömungen zur Liberalisierung und Säkulariisierung und setzen sich für die Befreiung von alten Geschlechterrollen ein. Welche Perspektive nun richtig oder falsch ist, ob das Kopftuch verteidigt oder kritisiert werden muss; all das sind Fragen, denen sich die Linke und auch die Grüne Jugend stellen muss. Vor allem dann, wenn wir 1. migrantische Frauen ansprechen wollen, weil diese, ob muslimisch oder nicht, von diesem Thema betroffen sind und 2. es ernst meinen mit universeller, internationaler Solidarität! 🚩🌏🙋‍♀️

 

Zum Weiterlesen…

📰 Interview mit Sineb El Masrar – taz

📰 Plädoyer für radikale Religionskritik – Jungle World

💬 Über schwierige Fragen im Feminismus – Koschka Linkerhand

📰 Vollverschleierung von Journalist*innen – Tagesschau



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