7. April 2018

Ungerechtfertigte Steuersubventionen zugunsten der Seeschiffahrtsbranche abschaffen!



Grundsätzlich erfolgt die Besteuerung der Einkünfte gewerblicher Betriebe nach dem tatsächlich er­zielten Gewinn. Verwunderung wird dies sicher nicht auslösen, denn wel­­cher Maßstab sollte sonst für eine Besteuerung herangezogen werden, die sich an der Belast­bar­keit des Einzelnen und dem allgemeinen Gleichheitssatz unseres Grundgesetzes orientiert?

Doch das deutsche Steuerrecht bietet Ausnahmen. Eine hiervon, deren Bekanntheit sowohl ge­mes­sen an ih­rer Diskrepanz zu diesem Grundsatz als auch ihrer betragsmäßigen Auswirkung ver­schwin­dend ge­ring ist, ist die Tonnagebesteuerung.

Diese Regelung findet sich in § 5a des Einkommensteuergesetzes. Bereits der Buchstabe hinter der Num­­mer des Paragraphen zeigt an: Erst nachträglich hat sich diese Norm ins Steuerrecht hinein­ge­mo­­gelt. Im Jahr 1998 ist sie im Rahmen eines Gesetzes aufgenommen worden, dass zum Ziel hatte, die internationale Wett­be­werbsfähigkeit der deutschen Schifffahrtsbranche zu stützen.

Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn pauschal anhand der Nettoraumzahl (NRZ), einer Maß­ein­heit für die Größe eines Schiffes, ermittelt. Pro Betriebstag beträgt der angesetzte Gewinn für 100 NRZ in Abhängigkeit von der Gesamtgröße des Gefährts zwischen 0,92 und 0,23 Euro. Einzige zwin­gen­­­de Vo­raus­set­zungen für das Wahlrecht zur Inanspruchnahme der Pauschalierung sind die An­säs­sig­keit der Geschäfts­lei­­tung in Deutschland und der Betrieb des Handelsschiffes im inter­na­tio­na­len Ver­kehr. Grundsätzlich ist zudem die Eintragung in ein deutsches Seeschiffsregister erforderlich. Im internationalen Ver­gleich müssen dadurch erhöhte Anforderungen hinsichtlich Besatzungszahl, Lohn­niveau und Sicher­heits­stan­dards erfüllt werden. Diese können aber teilweise umgangen werden, weil für einen gewissen Anteil der tatsächlich genutz­ten Schiffe die Ein­tra­gung entbehrlich ist, wenn ne­ben eigenen Schiffen, die die Voraussetzungen erfüllen, wei­tere gecharterte Schiffe betrieben wer­den.

Durch die pauschale Tonnagebesteuerung ergibt sich eine absurde Konstellation:
Ziel der Norm soll die Entlastung der deutschen Schiff­fahrts­­branche in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Bedin­gun­gen sein. Aufgrund der immer glei­chen Höhe des festgesetzten Tonnagegewinns pro Jahr sind Reeder je­doch genau dann, wenn sie Ver­luste erwirtschaften, durch diese Sonderform der Besteuerung über­­mäßig belastet, da sie ab der erstmaligen Inanspruchnahme für zehn Jahre bindend ist. Er­zie­len Ree­der hingegen Gewinne, werden diese regel­mäßig nicht annähernd im üblichen Maße der Be­steu­e­rung unter­wor­fen. Dem Grundsatz der Be­steuerung nach der wirt­schaft­lichen Leistungs­fä­hig­keit, der Grundidee bezüglich der Höhe der Ertragsbesteuerung, ent­spricht dies nicht im Geringsten.

Der Vorteil für Schifffahrtsunternehmen ist beachtlich. Durch die Tonnagebesteuerung kann es zum Beispiel dazu kommen, dass mit einem Schiff in
einem Wirtschaftsjahr mehr als 800.000 Euro Gewinn erzielt werden, jedoch nur etwa 35.000 Euro – ein Bruchteil – besteuert werden.

In einer Auswertung des Deutschen Bundestages zu Beihilfen und Subventionen für die maritime Wirt­­­­schaft in Europa aus 2016 wird lapidar darauf verwiesen, dass Angaben zum finanziellen Ge­samt­volumen der Steuermindereinnahmen nicht vorlägen, da keine “Schatten­ver­an­la­gung“ nach den re­gulären Gewinnermittlungsvorschriften erfolge. Folglich ist auch im aktuellen Sub­­ven­tions­be­richt der Bundesregierung kein konkreter Umfang benannt. Die Politik scheint in diesem Fall gar nicht genau wissen zu wollen, wie hoch die von ihr veranlassten Steuermindereinnahmen sind. 2008 wurden sie noch mit einem Betrag von 500 Millionen Euro veranschlagt, die letzten Schätzungen für 2011 und 2012 lagen bei 140 bis 520 Millionen Euro.

Ziel von Subventionen ist regelmäßig die Unterstützung von Wirtschaftszweigen und Institutionen, die ohne solche am Markt nur geringe Überlebenschancen hätten. Es ist zweifelhaft, ob dies für die deut­sche Seeschifffahrt überhaupt gilt. Denn wenn eine Option zur Tonnagebesteu­e­rung, die nur im Gewinnfall vorteilhaft ist, üblicherweise erfolgt, werden offenkundig Gewinne erzielt.

Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung der Tonnagebesteuerung geht hervor, dass vor allem der Trend zur Ausflaggung deutscher Schiffe gebrochen werden sollte. Dieses Ziel hat die Tonnagebesteuerung jedoch verfehlt: Ende Januar 2018 sind nur 325 Schif­fe der deutschen Han­dels­flotte unter deutscher Beflaggung gefahren, 1998 waren es noch 844. Vorrangig sollte die Beschäf­ti­gung deutscher Seeleute gefördert werden. Auf deut­schen Handelsschiffen sind derzeit nur etwa 6.500 deutsche Beschäftigte angestellt, mit sinkender Ten­denz – die Anzahl der unmittelbar zu si­chern­den Arbeitsplätze ist in Anbetracht der gewährten Sub­ven­tio­nen sehr überschaubar. Darüber hinaus soll die Subventionierung der Seeschifffahrt ­der Ausbildungsförderung dienen. Für die Bereit­stellung von Ausbildungsplätzen werden je­doch bereits geson­der­te Zuschüsse gewährt. Diese sum­mie­ren sich mit weiteren Zu­schüs­sen zu den Lohn­ne­ben­kosten jährlich auf ein Volumen von etwa 58 Millionen Euro. Die Tonnage­be­steu­e­rung ist nicht ein­­mal verbindlich an den Erhalt be­stimmter Ar­beits­plätze oder die Bereitstellung von Aus­bil­dungs­plätzen geknüpft – eine konkrete Gegenleistung für die verminderte Besteuerung ist da­her eben­so wenig zu erkennen wie die Sicherstellung des För­derungszweckes.

Eine staatliche Unterstützung sollte möglichst vielen Menschen zugutekommen, da sie von der Ge­samt­heit der Bevölkerung finanziert wird. Die Anzahl der Reeder ist jedoch ver­schwindend ge­ring und diejenigen, die sich als Anleger an Schifffahrtsgesellschaften beteiligen, verfügen meist über erhebliche Vermögenswerte. Häufiger Grund für die Beteiligung an Schifffahrtsgesellschaften ist nicht allein die Aus­sicht auf einen hohen Gewinnanteil, sondern auch die Steuerersparnis ge­genüber Ein­künften aus an­deren Vermögens­an­la­gen. Denn die der Besteuerung zugrundegelegten Beträge bleiben re­gel­mäßig deutlich hinter der Summe der tatsächlich ausgezahlten Gewinnanteile zurück.

Nicht einmal der bürokratische Aufwand wird durch das vermeintlich vereinfachte pauschale Ver­fah­ren vermindert: ein üblicher Jahresabschluss muss aus handelsrechtlichen Gründen und bei Per­so­nen­gesellschaften zwecks der Verteilung des tatsächlichen Gewinn auf einzelne Anteilseigner ohne­hin auf­gestellt werden.

Auch sonst erzielt der Staat keine nennenswerten Einnahmen aus der Seeschifffahrt: Nach § 4 Nr. 2 UStG sind die erzielten Umsätze vollumfänglich
von der Umsatzsteuer befreit. Es han­delt sich sogar um sogenannte privilegiert steuerfreie Umsätze: ein Abzug der Umsatzsteuer auf Eingangsleistungen als Vorsteuer kommt dennoch in Betracht. Im Ergebnis wird den Ree­dern jedes Jahr ein Um­satz­steuer­guthaben ausgezahlt.

Außergewöhnlich ist, dass in der See­schifffahrt unter deutscher Flagge aktuell keinerlei Lohn­steuer durch die Arbeitgeber an den Staat abgeführt wird. Bis Mitte 2016 war es den Arbeitgebern bereits erlaubt, 40 Prozent der von den Beschäftigten einbehaltenen Lohnsteuer nicht an die Fi­nanz­­ver­­wal­tung wei­ter­zuleiten, sondern selbst zu behalten. Durch eine Gesetzes­än­de­rung erfolgt seit­her be­fris­tet bis Ende 2020 sogar ein Verzicht des Staates auf 100 Prozent der in der See­schifffahrt un­­­ter deut­­­scher Flagge einbehaltenen Lohnsteuer. Die Lohnsteuer stellt eine Erhe­bungs­form der Ein­kom­­­men­­steu­er bei nichtselbständig Beschäftigten dar. Der durch einen Ar­beit­geber einbehaltene Be­­trag wird bei einer Einkommensteuerveranlagung
eines Arbeitnehmers auf die zu zahlende Steuer an­ge­rech­­net. Bei Beschäftigten der Seeschifffahrtsbranche bedeutet das: es wird aktuell ein
Betrag als ge­zahl­te Steu­er angerechnet, den der deutsche Staat nie erhalten hat. Allein die Steuer­minder­ein­nah­men, die sich gegenüber einer regulären Lohnsteuerabführung ergeben, belaufen sich jährlich auf et­wa 75 Millionen Euro.

Problematisch ist, dass auch die übrigen EU-Staaten den bei ihnen an­säs­si­gen oder unter der je­wei­li­gen Landesflagge fahrenden Unternehmen der
internationalen See­­schiff­fahrt Beihilfen in ähn­li­chem Umfang zukommen lassen. Derzeit wird der Subventionswettstreit um die maritime Wirtschaft
zwi­schen den EU-Ländern mit allen Mitteln ausgetragen und schadet letztlich allen Mitglieds­staaten. Es besteht folglich ein Neuregelungsbedarf zur
Vereinheitlichung auf EU-Ebene.

Aktuell ergibt sich folgende Lage: Entweder die erheblichen Subventionen zugunsten der See­schiff­fahrt werden an einen nicht mehr annähernd eigenständig lebensfähigen Wirtschaftszweig ver­geben, der gemessen an seiner absoluten Beschäftigtenzahl nur sehr wenigen Menschen ein Ein­kom­men si­chert. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob nicht durch Förderung anderer Branchen mit bes­se­ren Zu­kunftsaussichten mit entsprechend hohen Subventionen eine we­sent­lich höhere Anzahl an Ar­beits­plätzen gesichert oder geschaffen werden kann. Oder – schlim­mer noch – die Subventionen, allen voran die Tonnagebesteuerung, kommen Reedern zu­gu­te­, die diese gar nicht zum Erhalt ihrer wirtschaftlichen Existenz benötigen. Dann führen sie lediglich dazu, dass diese hö­here tat­säch­liche Einkünfte nach Steuern zurückbehalten – es ergibt sich also ei­ne Be­rei­che­rung Einzelner auf Kos­ten der Allgemeinheit.

Das zusammenfassende Ergebnis der Tonnagebesteuerung ist vernichtend: der Förderungs­zweck wird weitgehend verfehlt, die Steuermindereinnahmen sind beträchtlich, die Anzahl der für deut­sche Arbeitnehmer gesicherten Arbeits­plät­ze ist gering.

Unabhängig davon, ob man die Seeschifffahrt als erhaltenswerten Wirtschaftszweig für die deutsche Volkswirtschaft erachtet und ob die Tonnagebesteuerung zum Zeitpunkt ihrer Einführung legitim ge­we­sen ist: Sie sollte derart nicht bestehen bleiben. Zwar müssen Übergangsregelungen für die Rück­kehr zur regulären Besteuerung getroffen werden, ansonsten hat es die Politik jedoch unge­wohnt leicht: es muss nicht verändert, neu ausgerichtet oder modifiziert werden, sondern die Norm kann ersatzlos abgeschafft werden.

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert daher die politischen Entscheidungsträger insbesondere der Fraktion der Grünen im Bundestag auf, sich für eine umgehende Abschaffung der Tonnagebesteuerung und die Überprüfung anderer Steuervorteile der Seeschifffahrtsbranche in Deutschland einzusetzen und darüber hinaus für einen einheitlichen Abbau ungerechtfertigter Steuersubventionen auf europäischer Ebene einzutreten.



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