Am 27. Juni 2012 veröffentlichten wir als Landesvorstand der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen eine Pressemitteilung mit dem Titel „Schützenvereine: Soziale Verantwortung stärken, Diskriminierung ächten!“. Seitdem haben wir viele Rückmeldungen erhalten, von denen einige unsere Positionen zum Teil inhaltlich kritisieren, die meisten jedoch leider geprägt sind von offenen Anfeindungen und persönlichen Beleidigungen auf der Grundlage eines Pauschalisierungsverdachtes und einer Ignoranz gegenüber der inhaltlichen Differenzierung unserer Kritik.
Aufgrund der anhaltenden Debatte über unsere Pressemitteilung sehen wir uns in der Pflicht, in der Form einer öffentlichen Antwort auf die geäußerte Kritik zu reagieren und Einiges in der Öffentlichkeit richtig zu stellen. Nicht selten ließen sich KritikerInnen bisher schon zu Äußerungen hinreißen, die keine Differenzierung zwischen der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen und Bündnis 90/Die Grünen vornahmen und die Partei wurde sogar aufgefordert, sich von uns zu differenzieren. Uns ist es wichtig zu betonen, dass wir trotz unserer inhaltlichen und organisatorischen Nähe eine unabhängige Jugendorganisation sind, die nicht immer der gleichen Meinung sein muss, wie Bündnis 90/Die Grünen. Wir wünschen uns, dass dies in den öffentlichen Auseinandersetzungen stärker berücksichtigt wird.
Durch einige (auch öffentliche) Äußerungen fühlen wir uns als GJN derzeit als GegnerInnen von Schützenvereinen verunglimpft. Vorgeworfen werden uns z.T. Hetze und Verleumdung gegen Schützenvereine, Respektlosigkeit gegenüber Schützinnen und Schützen und eine Abwertung des ehrenamtlichen Engagements von Aktiven in Schützenvereinen. Gerne stellen wir hiermit klar, dass das in keiner Weise der Realität und der Intention unserer Pressemitteilung entspricht. Zum Thema „Schützenvereine“ haben wir als GJN 2010 auf unserer Landesmitgliederversammlung einen Beschluss gefasst, der nicht ohne Grund mit folgenden Worten einleitet:
„Schützenvereine sind in Niedersachsen etablierte gesellschaftliche Zusammenschlüsse, die – nicht nur, aber besonders – in ländlichen Gebieten wichtige Aufgaben in der Jugendarbeit und bei sozialer Integration übernehmen. Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen erkennt dabei vor allem die zumeist ehrenamtliche Arbeit vieler engagierter Menschen in diesen Vereinen an, die auch älteren, in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen soziale Teilhabe ermöglicht, jungen Menschen Verantwortungsbewusstsein vermittelt und sozialen Zusammenhalt fördert.“
In der Tat halten wir es aber geradezu für unsere Pflicht, bei solch großen und wichtigen gesellschaftlichen Organisationen wie Schützenvereinen ein kritisches Auge auf die Aktivitäten und Feste zu haben. Bei dieser kritischen Betrachtung fallen selbstverständlich immer noch viele positive Potentiale und Aspekte des Schützenvereinswesens für das gesellschaftliche Zusammenleben auf. Doch wir geben uns nicht damit zufrieden, wie die CDU bedingungslose Solidarität zu verkünden und sich jeglicher Kritik zu versperren. Wir haben als Jugendorganisation aus der Geschichte gelernt und haben daher bewusst und gerne ein „verkrampftes“ und damit ein stets kritisches „Verhältnis zum eigenen Land“, zu dem Schützenvereine dazu gehören.
Ein Teil unserer Kritik ist, dass einige Schützenvereine durch ihre Strukturen und Bräuche Sexismus dulden und z.T. sogar befördern. So ist es beispielsweise auch heute noch in einigen Schützenvereinen üblich, dass lediglich Männer Schützenkönige werden dürfen. In einigen Vereinen hiervon ist es Frauen nicht einmal möglich, irgendeinen gleichwertigen Titel durch sportliche Leistung zu erlangen. Exemplarisch sei hier genannt der „Bürgerschützenverein Vechta e.V.“. Auch gibt es Schützenvereine, die nicht einmal Frauen als Mitglieder zulassen, so heißt es beispielsweise in der Satzung des Schützenvereins „Frohsinn Schonebeck“ (NRW) wörtlich:
„Mitglied der Schützengesellschaft „Frohsinn – Schonebeck“, können Männer aus der Bauernschaft Schonebeck und Umgebung werden […]“
Aber auch in Niedersachsen gibt es Ähnliches, zum Beispiel die „Schützengesellschaft Linden von 1904 e.V.“. Damenabteilungen oder gar eigene Schützinnenvereine nur für Frauen entstanden nicht selten erst auf Drängen engagierter Frauen und z.T. gegen den Widerstand von Männern. Schaut man sich die Führungsebene vieler Schützenvereine an, kann von einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen in vielen Fällen keine Rede sein.. In nicht wenigen Vorständen ist die einzige Frau im Vorstand nur aufgrund ihrer Funktion – der Leitung der Frauenabteilung – vertreten. Offensichtlich herrschen also in einigen Schützenvereinen auch heute noch Mechanismen, die Frauen von der aktiven Beteiligung systematisch, ausschließen. Hier fordern wir als GRÜNE JUGEND Niedersachsen von allen betroffenen Vereinen die Entwicklung von Konzepten und konkreten Strategien, die der Benachteiligung und Ausgrenzung von Frauen aktiv entgegenwirken.
Auch Homophobie ist ein Thema, das im Zusammenhang mit Schützenvereinen nicht verschwiegen werden sollte und erst vor einiger Zeit wieder für große Medienaufmerksamkeit sorgte. Erst im März dieses Jahres gab der „Bund der Historischen Schützenbruderschaften“ bekannt, dass bei Schützenumzügen künftig der Partner eines schwulen Schützenkönigs nicht neben ihm in der ersten Reihe laufen dürfe. Dies ist unserer Auffassung nach nicht weniger als ein Skandal zumal der Verband mit seinen rund 300.000 Mitglieder der zweitgrößte deutsche Schützenverband ist. Gleichwohl haben wir selbstverständlich sehr positiv vernommen, dass ebenfalls in diesem Jahr die Krönung eines schwulen Schützenkönigs im Kreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen überwiegend zu positiven und solidarisierenden Äußerungen führte.
Ein weiterer von uns geäußerter Kritikpunkt ist der Vorwurf der teils halbherzigen und ineffektiven Bekämpfung von Rassismus in Schützenvereinen und auf Schützenfesten. So gab und gibt es beispielsweise auf dem Schützenfest in Hannover, dem immerhin größten Schützenfest der Welt, Zelte, in denen Menschen mit Migrationshintergrund z.T. der Zugang verwehrt wurde. Hier wünschen wir uns ein wesentlich offensiveres Vorgehen gegen jede Form von Rassismus. So machte vor zwei Jahren beispielsweise ein Schützenverein in Wissen (Rheinland-Pfalz) mit einer Werbekampagne gezielt für Jugendliche mit Migrationshintergrund auf sich aufmerksam. Derartige Aktivitäten, die der gezielten Teilhabe auch von Minderheiten dienen, begrüßen wir als GRÜNE JUGEND Niedersachsen sehr.
Als gewaltfreie Jugendorganisation finden wir die zahlreichen teils sehr militaristisch anmutenden Rituale in einigen Schützenvereinen und vor allem bei Schützenumzügen sehr befremdlich. So wird bei derartigen Umzügen meist in Reih“ und Glied uniformiert marschiert. Statt Waffen werden häufig Holzstöcke oder Ähnliches getragen. Wir empfinden diese Nähe zu Militärparaden als zumindest fragwürdig. Wir würden uns trotz der langen Tradition einen bewussteren und selbstreflexiven Umgang mit den vorhandenen, militärisch anmutenden Strukturen und eine offensivere Abgrenzung zu Krieg und Gewalt wünschen.
Stärkeres Hinterfragen der eigenen Tradition wünschen wir uns auch bei einigen Schützenvereinen im Bezug auf den Umgang mit Denkmälern für gefallene deutsche Soldaten. So machte beispielsweise der Schützenverein in Bad Oeyenhausen (NRW) 2008 negativ auf sich aufmerksam, als er zum wiederholten male den rechten Trauerredner Gerd Rothe zum Volkstrauertag an einem „Heldenehrenmal“ einlud. Aber auch in Niedersachsen gibt es Schützenvereine, die noch heute Ehrenmäler für deutsche Soldaten, auch aus dem Zweiten Weltkrieg, z.T. ohne jeden Kommentar, auf ihren Grundstücken haben und pflegen. Als Beispiel sei genannt der Schützenverein Varenrode (Spelle), der noch heute ein sogenanntes „Kriegerdenkmal“ am Schießstand stehen hat. Heutzutage versehen viele Gemeinden derartige Denkmäler mit zusätzlichen Informationsschildern, die diese kommentieren und darauf hinweisen, dass deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg vor allem auch Täter und nicht nur Opfer waren. Zumindest dies ist unserer Meinung nach an allen Denkmäler dieser Art notwendig.
Ein letzter Punkt unserer Kritik, die wir tatsächlich bei weitem nicht das erste mal äußern, ist der Verweis auf die Notwendigkeit eines neuen Waffenrechtes. Leider haben wir auch im Verlauf der aktuellen Debatte wieder einmal den Eindruck gewonnen, dass sich einige aktive Schützinnen und Schützen von uns als Waffennarren oder potentielle AmokläuferInnen diffamiert fühlen. Hier stellen wir gerne auch zum wiederholten male klar: Diese Darstellung und ein derartiges Verständnis unserer Kritik ist nicht in unserem Sinne und entspricht in keiner Weise der Intention irgendeiner unserer Pressmitteilungen oder Veröffentlichungen. Tatsache ist jedoch, dass die verwendeten Waffen bei vergangenen Amokläufen von Jugendlichen nicht selten aus dem Privatbesitz von Schützen in der eigenen Wohnung stammten, so beispielsweise beim Amoklauf in Erfurt 2002 und Winnenden 2009. Gerade vor diesem Hintergrund ist es für uns als GRÜNE JUGEND Niedersachsen unverständlich, weshalb sich vor allem Schützenvereine und -verbände immer wieder für den Verbleib von Schusswaffen in Privathaushalten stark machen. Wir fordern eine streng getrennte Verwahrung von Munition und Waffen in gesicherten, zentralen Lagern, um eine wesentlich leichtere Kontrolle der Verwahrung zu gewährleisten. Die ständige Verfügbarkeit gefährlicher Schusswaffen in unmittelbarer Reichweite stellt unserer Ansicht nach eine Einladung zum Missbrauch dar, die sich leicht verhindern ließe. Es ist für uns nicht ersichtlich, wozu Schützinnen und Schützen Waffen in der eigenen Wohnung aufbewahren sollen. Unser Antrieb ist hier nicht die Diffamierung oder Kriminalisierung des Schießsports, sondern die Minimierung der Gefahr des Missbrauchs von Waffen.
Wir hoffen, wir konnten mit diesen Erläuterungen klarstellen, auf welche Stellen sich unsere Kritik konkret bezogen hat. Wenngleich wir in unserer Pressemitteilung bereits eine Differenzierung vorgenommen haben, war diese umfassende Darstellung leider nicht in dem kurzen Umfang einer Pressemitteilung möglich. Wir freuen uns, wenn unsere Kritik nicht nur pauschal abgewehrt wird, sondern auch an der einen oder anderen Stelle Beachtung findet und wir sind auf dieser Grundlage offen für weitere inhaltliche Diskussionen und einen Austausch.
Herzliche Grüße,
die GRÜNE JUGEND Niedersachsen der Landesvorstand
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