Artikel erschienen in der Jungle World Nr. 49, am 8. Dezember 2011
Der Verfassungsschutz kann als undemokratische Organisation nicht die Demokratie schützen. Das hat der Skandal um den Naziterror wieder einmal bewiesen. |
Die Tatsache, dass eine organisierte Vereinigung von Neonazis über fast eine Dekade hinweg Morde und Anschläge verüben konnte, ohne in das Visier der zuständigen Ermittlungsbehörden zu geraten, verdeutlicht auf besonders tragische Weise das Versagen des Verfassungsschutzes. Da selbst eine indirekte Mittäterschaft an den rassistischen Mordtaten nicht ausgeschlossen werden kann, stellt sich nun die Frage, ob die geheim operierende Behörde nicht selbst eine Gefahr für die Verfassung darstellt.
Während der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind zu sein scheint, werden sogenannte „linksextreme“, antifaschistische Gruppen seit Jahren willkürlich bespitzelt und somit in ein kriminelles Licht gerückt. So wurde vor wenigen Wochen bekannt, dass ein Göttinger Journalist, der über linke Aktionen und Demonstrationen gegen Nazis berichtete, seit 14 Jahren vom Verfassungsschutz überwacht wird. Die niedersächsische Landesregierung begründet die Maßnahmen damit, dass er als Mitglied eines „extremistischen Personenzusammenschlusses“ einzustufen sei. Statt sich also seiner originären Aufgabe zu widmen – die Grundwerte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit zu schützen – orientiert sich der Verfassungsschutz mit seinen Überwachungsmaßnahmen eindeutig an politischen Motivlagen mit perfiden Extremismusargumentationen. Dass die Beobachtung der Partei „Die Linke“ auf das Betreiben der CDU zurückzuführen ist, verdeutlicht, in welchem Ausmaß der Verfassungsschutz für Parteiinteressen instrumentalisiert wird. Eine Behörde, die jene Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einschränkt, die sie selbst eigentlich schützen soll, und die selbst nicht einmal an das Rechtsstaatsprinzip gebunden ist, konterkariert ihre eigene Existenzberechtigung. Die weitgehenden Kompetenzen des Verfassungsschutzes über eigenständige geheimdienstliche Aktivitäten, die völlig unabhängig von richterlichen Vorbehalten sind, gefährden sogar die Demokratie. Diese Gefahr wird verstärkt durch das unkontrollierbare Agieren von V-Leuten in der NPD und der gesamten rechten Szene. Bisher konnten V-Leute keinen elementaren Beitrag dazu leisten, rechte Gewalt und faschistische Hetze zu verhindern. Im Gegensatz dazu ist zu fragen, ob sie, statt aufzuklären, nicht mit ihrer Arbeit sogar zur Stabilisierung der Naziszene beitragen und eskalierend wirken. Es ist völlig absurd, dass der Verfassungsschutz einschlägig bekannte Nazis beauftragt und als V-Leute bezahlt, die mit diesen Geldern nachweislich den Aufbau der rechten Szene finanzieren.
Doch die Existenz des Verfassungsschutzes ist nicht nur deshalb undemokratisch, weil innerhalb undemokratischer Strukturen V-Leute rekrutiert und installiert werden, sondern auch, weil die Behörde ursprünglich aus der Idee heraus geschaffen wurde, eine so genannte „gesellschaftliche Mitte“ zu schützen. Soll die Aufgabe des Verfassungsschutzes letztlich darin bestehen, sich selbst überflüssig zu machen und alle von der „Mitte“ abweichenden politischen Meinungen auszumerzen? Und ist unter diesen Bedingungen die Missachtung der Tatsache zulässig, dass menschenverachtende und antidemokratische Einstellungen ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen und nicht nur an den vermeintlichen „Rändern“ unserer Gesellschaft auftreten?
All das sind Gründe, warum die GRÜNE JUGEND Niedersachsen schon seit längerem den Verfassungsschutz kritisiert. Die aktuellen Ereignisse haben uns in unserer Forderung bestärkt: Diese Behörde gehört abgeschafft! Geheimdienste sind in einer Demokratie grundsätzlich fehl am Platz, da sie sich einer parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle weitgehend entziehen. Wir fordern deshalb ein Ende der Intransparenz und die Stärkung der Verfassung durch eine Übertragung der Kontrollaufgaben an rechtsstaatliche, demokratische und transparente Organe. Letztlich wollen wir auch festhalten: Beim Kampf gegen Nazis darf es keine Arbeitsteilung geben. Die Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit muss in unserer Gesellschaft stattfinden. Deshalb müssen gleichzeitig mit der Abschaffung des Verfassungsschutzes zivilgesellschaftliche Initiativen und antifaschistisches Engagement gefördert und unterstützt werden.
Von Carolin Jaekel. Die Autorin ist Sprecherin der Grünen Jugend Niedersachsen, des Jugendverbands der Partei Bündnis 90/Die Grünen