25. September 2010

Verriegelt die Drehtür – Intransparentem Lobbyismus und verdeckter Einflussnahme konsequent entgegentreten!



Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen möge beschließen:
Wir, die GRÜNE JUGEND Niedersachsen, stellen uns verdeckter Einflussnahme auf die Politik durch Wirtschaft und Lobbyverbände entgegen und fordern transparente, bürger_innennahe Entscheidungsfindungsprozesse auf allen politischen Ebenen. Ebenso lehnen wir die „Drehtür“ ab – das heißt den fast nahtlosen Wechsel von Minister_innen, Staatssekretär_innen und anderen hohen Politiker_innen aus ihren Ämtern direkt in die Wirtschaft bzw. zu Lobbyverbänden.
Deshalb fordern wir:

  1. Eine „Abkühlungsphase“ oder Karenzzeit von 5 Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Amt, in der jedwede Lobbytätigkeit für auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen und deren Zusammenschlüsse untersagt ist. Dieses Verbot soll für die_den Kanzler_in, die Minister_innen, die Ministerpräsident_innen, die Staatssekretär_innen und die Referatsleiter_innen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gelten und auch bei Wegfall der Beamtenbezüge nicht umgangen werden können.
  2. Ein verpflichtendes Lobbyregister, in dem sämtliche Verbände, Lobby-Agenturen sowie selbstständige Lobbyist_innen verzeichnet sein müssen, die in der Politikberatung tätig sind. Außerdem müssen Angaben zu der_dem jeweiligen Auftraggeber_in, den Kund_innen, den Finanzquellen, Budgets sowie Arbeitsthemen gemacht werden.
  3. Ein Verbot der Fremdformulierung von Gesetzestexten z. B. durch Großkanzleien.
  4. Ein Verbot „externer Mitarbeiter“ bzw. sogenannter „Leihbeamter“, die aus der Wirtschaft an die Ministerien „entliehen“ werden.
  5. Die Einsetzung eines Kontrollgremiums, das transparent arbeitet und die Einhaltung der Offenlegungspflichten für Lobbyist_innen sowie der Karenzzeit überwacht und regelmäßig an den Bundestag berichtet. Diesem könnte auch ein_e Bundesbeauftragte_r für Transparenz angehören.
  6. Das Lobbyregister (soweit rechtlich möglich), die Protokolle von Gesetzesprozessen und die Ergebnisse des Kontrollgremiums müssen allen Bürger_Innen einfach zugänglich gemacht werden, zum Beispiel über die Internetseiten des Bundestages, der Landtage und der Ministerien.

Begründung:
Ob die viel zitierte Demokratiekrise nun schon da ist, bald in voller Härte einsetzt oder einfach nur ein Lieblingsthema der Politikjournalist_innen darstellt: Immer weniger Menschen gehen zu Wahlen, haben das Gefühl, durch die Stimmenabgabe reale Entscheidungen beeinflussen zu können oder gar im Großen und Ganzen mitzubestimmen. Das liegt zum Einen an der minimalen Anzahl direkter Demokratieinstrumente wie der Petition oder dem Bürger_innenentscheid, die den Menschen zur Verfügung stehen. In diesem Sinne fordern wir als GRÜNE JUGEND mehr Mitbestimmung auf allen politischen Ebenen und damit auch die grundlegende Wende hin zur Basisdemokratie.
Ein anderer Aspekt, der an der Glaubwürdigkeit und Bürger_innennähe der politischen Klasse zweifeln lässt, ist aber auch die Art und Weise, wie Politiker_innen Entscheidungen treffen und – prinzipiell zumindest – für das Gemeinwohl eintreten. Gesetzestexte werden teilweise von privaten Großkanzleien formuliert, die gleichzeitig die Hauptbetroffenen der jeweiligen Gesetze juristisch vertreten. Mitarbeiter der Deutschen Bank, des Rüstungskonzerns EADS, der Lufthansa und vieler Unternehmen mehr arbeiten, weiterhin von ihren Heimatkonzernen bezahlt, als „Leihbeamte“ in den Führungsetagen der Ministerien und sind dort direkt am Gesetzeserarbeitungsprozess beteiligt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Auch abseits solch krasser Beispiele von (zumindest sehr wahrscheinlicher) intransparenter Einflussnahme ist Berlin als Politikstandort Nummer 1 gekennzeichnet durch einen undurchdringlichen Dschungel von Politikberatungsagenturen, firmeneigenen Lobbyist_innen und anderen Akteuren der „politischen Kommunikation“. Dass Politikberatung durchaus einen Sinn hat und für eine funktionierende Demokratie von Wichtigkeit ist, will dabei niemand in Abrede stellen.
Politiker_innen können nicht alles Fachwissen aufbringen, das für abgewogene, sinnvolle Entscheidungen notwendig ist. Dass sie dieses von Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zu erlangen versuchen, stellt an sich noch kein Problem dar. Dass solche Beratung allerdings zum Großteil vor der Öffentlichkeit verborgen und somit von dieser unkontrolliert stattfindet, ist jedoch in keinster Weise hinzunehmen. Hier muss Klarheit geschaffen werden, wer eigentlich wen inwiefern berät und wer dafür die Rechnung zahlt. Andernfalls stellt sich die Politik nach und nach selbst ins Abseits.
Eine besonders zweifelhafte Art des Lobbyismus ist die „Drehtür“-Problematik. Die „Drehtür“ bezeichnet den, mehr oder weniger, nahtlosen Wechsel von Spitzenpolitiker_innen aus ihren Ämtern in Posten in der Wirtschaft. Dabei kommt den Ex- Politiker_innen bei der Vertretung der Interessen ihrer Arbeitergeber_innen nicht nur ihr Insiderwissen zu Gute, sondern auch ihr persönlicher Kontakt bis hin zum Führungspersonal der Ministerien. Die „Drehtür“-Studie der NGO (Non-Governmental Organisation, d.h. Nicht-Regierungsorganisation) LobbyControl aus dem Jahre 2007 zeigt dabei, dass sich auch grüne Politiker_innen nach Ende der Rot-Grünen Regierung nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. So arbeitet Matthias Berninger, Ex-Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, seit Februar 2007 beim Süsswarenkonzern Mars im Bereich „Gesundheits- und Ernährungsfragen“.¹ Rezzo Schlauch, ehemals Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Fraktionsvorsitzender, sitzt seit Oktober 2005 im Beirat von EnBW.² Joschka Fischer war und ist als Berater für RWE, BMW und Siemens tätig und hat außerdem seine eigene Beratungsfirma, die „Joschka Fischer Consulting“ gegründet. Hier genannt sind nur die grünen Beispiele, die das Problem der „Drehtür“ verdeutlichen sollen: Hochrangige Politiker_innen sind nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik teilweise bei ebenjenen Unternehmen tätig, für deren Kontrolle sie vorher zuständig waren. Im Besonderen verschaffen sich die Unternehmen durch diese Beratung einen Vorteil gegenüber kleineren Unternehmen, die sich die teure Anwerbung der „Drehtür“- Politiker_innen nicht leisten können. Generell verschafft sich die Wirtschaft durch solche Praktiken unlautere Einflussmöglichkeiten in den politischen Prozess. Der Lobbyismus und die Einflussnahme werden nämlich um einiges subtiler, wenn der alte Kollege mal durchruft um über die Brennelementesteuer oder die CO2-Grenzwerte für Autos zu plauschen, als wenn das bei offiziellen „Geschäftsessen“ geschehen muss. Diejenigen, die die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Politik eigentlich verteidigen sollten – die Politiker_innen – spielen dabei mit aufgehaltenen Händen gerne mit.
Um die oben genannten Probleme anzugehen und für eine demokratischere, transparentere Politik zu kämpfen sind einige Maßnahmen erforderlich, die etwa LobbyControl schon lange fordert: Eine „Abkühlungsphase“ für Politiker_innen, in der sie keiner Beratungstätigkeit nachgehen dürfen. Ein verbindliches Lobbyregister, das von einem unabhängigen Gremium überwacht wird. Und das absolute Verbot von „Leihbeamt_innen“ und der Fremdformulierung von Gesetzestexten. Natürlich können solche Forderungen nicht sämtliche Problematiken mit Stumpf und Stiel beseitigen. Politikverdrossenheit und die Demokratiekrise entstehen aber auch durch die allzu offensichtliche Wichtigkeit persönlicher oder Partikularinteressen (d.h. die Interessen Weniger) im politischen Prozess – und das kann und sollte mensch unter keinen Umständen tolerieren. In diesem Sinne gehen wir somit einige Schritte in die richtige Richtung – in Richtung Basisdemokratie und grundlegende Mitbestimmung.



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