Ein New Deal für Frauen?

Was hat die Finanzkrise mit Genderpolitik zu tun? Einiges: Kristina Kütt analysiert die besonderen Auswirkung der Finanzkrise für Frauen.

Ein analytischer Blick in die Vergangenheit kann viel für die Gegenwart lehren, und lohnt sich auch bei der Betrachtung moderner Krisen. Vor allem, wenn die aktuelle Finanzkrise durch die Presse hinweg ohnehin bevorzugt mit der Großen Depression der 1930er in einem Atemzug genannt wird. Auch für Ruth Sunderland, Wirtschaftsjournalistin der britischen Zeitung The Guardian wäre es für ihren am 18. Januar 2009 erschienen Artikel „The real victims of this credit crunch? Women!“ ruhig lohnend gewesen, nachzulesen, wie sich das Leben von Millionen von Frauen schon einmal in den 1930ern angesichts einer wirtschaftlichen Depression veränderte. Denn die Übereinstimmungen, die Sunderland für das Großbritannien von heute formuliert, mit denen der Frauen von damals sind frappierend.

Die Finanzkrise: Chance für die Gleichstellungspolitik?

So beschreibt Sunderland den Einbruch gerade der Industrien, in denen weibliche Erwerbstätigkeit am höchsten ist, und warnt vor unzureichender Renten- und Sozialversicherung von Frauen, da sich diese immer noch weit hinter männlicher Versicherung befände. Auch auf den Pay-Gap, der auch im 21. Jahrhundert immer noch zwischen Frauen und Männern auch in besser bezahlten Jobs herrscht, weist sie in diesem Kontext hin. Vor allem aber ist es die Vorausdeutung, wie das Leben von britischen Frauen angesichts einer wirtschaftlichen Depression im Jahr 2009 aussehen könnte, die Sunderlands Artikel so interessant macht. Sie versucht zunächst, die Rezession als Chance für Frauen zu zeichnen, die in dem gescheiterten – männlichen – Finanzsystem nun ihre Plätze erobern könnten. Dennoch warnt sie eindringlich davor, dass in Zeiten der Krise traditionelle Wertevorstellungen beschworen werden könnten und hält fest „that the recession is likely to drive women out of the workplace and back into the kitchen far more effectively than any chauvinist propaganda.“ So stellt sie zwei Zukunftsvisionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – Rückfall zu traditionellen Werten einerseits und enorme Chance des Durchbruchs für Frauen andererseits – gegeneinander auf. Sunderland zeigt Missstande auf, ist aber weit entfernt davon, die Politik zum Eingreifen ermahnen zu wollen, vielleicht auch, weil die momentanen Situation in den westlichen Ländern noch keinen nationalen Notstand erreicht hat, wie in der „Großen Depression“ vor 80 Jahren. Dabei wäre auch für ihre Argumentation interessant gewesen, das schon da Gewese genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie genau wurde in den 1930ern versucht, Frauen wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen – zum Beispiel im amerikanischen New Deal, der das umfassendste staatliche, demokratische Programm darstellte, welches in westlichen Ländern anlief? Und wurde Frauen durch die ergriffenen Maßnahmen wirklich geholfen?
Abschließend zu beantworten sind diese Fragen auch nach 80 Jahren nicht, denn es fehlen einfach die nötigen Zahlen, um weibliche Geschichte der 1930er adäquat zu belegen. Trotzdem hat sich die Geschichtswissenschaft mit dem Thema beschäftigt, und ist zu unterschiedlichsten Ergebnissen gekommen. Da dominiert einmal die Feststellung, dass auch in den 1930ern das Gefühl vorgeherrscht habe, dass explizit das „männliche“ Wirtschaftssystem gescheitert sei, und nun eine Rückbesinnung auf das „Weibliche“ an der Reihe sei – was damals bedeutete, dass die traditionelle Familie eine enorme Aufwertung erfuhr, und die gerade begonnene Liberalisierung familiärer Bindungen zurückgeschraubt wurde. „Americans turned inwards during the depression and women´s roles at the center of the family took on even greater significance.“[1]
Die Stilisierung der Frau als Mutter und Hausfrau scheint dadurch auch Aufwind bekommen zu haben, den zumindest in der öffentlichen Meinung überwogen fortan Ressentiments gegenüber arbeitenden Frauen, insbesondere verheirateten, arbeitstätigen Frauen.[2] Die Zementierung von „männlichen“ und „weiblichen“ Arbeitsfeldern wurde insofern verstärkt, als dass Frauen in vielen Arbeitsbereichen nicht weiter eingestellt wurden, selbst Frauen, die für die Regierung gearbeitet hatte, wurden 1932 im National Economy Act, aus ihren Stellen entlassen, um mehr Platz für männliche Arbeitskräfte zu schaffen. Rückbesinnung auf „das weibliche“ hieß also in diesem Kontext nicht, dass Frauen verstärkt gefördert worden wären, in das bestehende System mit einzusteigen, sondern bewusst auf ihren Einflussbereich, auf ihre „weibliche Sphäre“ zurückgewiesen wurden, die klar abgegrenzt war von der männlichen Arbeits- und Verantwortungssphäre. William Chafe weist in seinem schon 1972 erschienen Werk „The American Woman“ darauf hin, dass sexuelle Ungleichheit durch die soziale Struktur in der Gesellschaft geschaffen wurden, weil den Geschlechtern unterschiedliche Bereiche zugeordnet wurden, die wiederum mehr oder weniger Wertschätzung erfuhren.[3] Partizipation im „männlichen System“ wurde nicht gern gesehen, da eine Ehefrau durch ihre Arbeit nur eingestand, dass ihr Mann sie nicht versorgen konnte.
Diesen Feststellung über gesellschaftliche Vorgänge in den 1930ern steht entgegen, dass unter der demokratischen Regierung Roosevelts viele Frauen in wichtige Ämter kamen, Frauen wie Ellen S. Woodward, die als Leiterin der Abteilung des Work Progress Administration für Frauen eine hohe Stellung innerhalb der Regierungsprogramme einnahm. Auch ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es überhaupt Regierungshilfen speziell für Frauen, wie eben diese WPA- Abteilung gab. Ebenso die Zahlen und Daten, die zur weiblichen Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehen, sehen in den 1930er Jahren keinen besonderen Einbruch der Statistik, sondern im Gegenteil über die Dekaden einen kontinuierlichen Anstieg der arbeitenden Frauen.[4] Zwischen Ideal und Wirklichkeit klaffte also auch damals schon eine gesellschaftliche Schere. Auf der einen Seite wurde die moralisch intakte Familie beschwört, auf der anderen Seite aber auch auf die Realität von Frauen eingegangen, die Alleinstehend waren, finanziell zum Erhalt ihrer Familie beitrugen, oder sogar Hauptverdiener ihrer Familie waren, und Programme wurden erschaffen, die diesen Frauen das Leben erleichtern sollte. Suzanne Mettler stellt in diesem Zusammenhang eine interessante These auf. In ihrer Monographie „Dividing Citizens´s. Gender and Federalism in New Deal Public Policy“ geht sie auf die Ungleichheit vieler dieser Programme ein. Frauen, so Mettler, hätten durch ihre gesellschaftlich immer noch abhängige Rolle innerhalb der Familie von Anfang an einen schlechteren Status gehabt als Männer. Die meisten Dinge, die sich positiv für Frauen auswirkten – wie z. B. die Einführung von Mindestlöhnen in vielen Industrien – waren ursprünglich für die männliche, arbeitende Bevölkerung gedacht, und berührten Frauen so eher zufällig am Rande. Dieser Eindruck wird dadurch weiter verstärkt, dass diese Mindestlöhne bei zumeist „weiblichen“ Arbeitsfeldern wie Hausangestellten und Landarbeiterinnen nicht eingeführt wurden, obwohl diese verstärkt von der Depression betroffen waren.

Der „gendered character” des New Deal

Während die Koordination vieler New Deal Maßnahmen auf nationaler Ebene geplant und verwaltet wurde, wurden so Männer direkt der Bundesregierung unterstellt, während viele der Regelungen, die auf Frauen zugeschnitten waren, den Verwaltungen der einzelnen Staaten oblag. Mettler argumentiert, dass auf staatlicher Ebene viel mehr noch Vorurteile und Geschlechterklichées den politischen Alltag bestimmt hätten, und dies sich auch in der Umsetzung der New Deal Maßnahmen zeigte. Wurden Männer als vollwertige Bürger behandelt, die für gute Arbeit gutes Geld bekommen sollten, wurden alleinstehende Frauen mit Pflegebedürftigen Kindern zunächst auf Herz und Nieren darauf geprüft, ob sie denn überhaupt gute Mütter wären, und eine finanzielle Unterstützung des Staates verdient hätten. Mettlers Schlussfolgerung ist vernichtend: „Unequal citizenship emerged, carrying with it important implications for the status of men and women in the U.S.- democracy.” Sie wirft dem New Deal explizit einen „gendered character” vor, der Frauen als Bürger weniger Privilegien erteilte, dafür aber mehr moralische Pflichten auferlegte als Männern. Frauen wurden durch den New Deal – so Mettler – so zu Bürgerinnen zweiter Klasse. Die zumeist Gender- neutrale Sprache des New Deal und die vielen demokratische Frauen in hohen Positionen der Regierung lässt sie nicht als Verdienst des New Deal gelten, weil diese keinen so weitreichenden Einfluss gehabt hätten, wie der gesellschaftliche Status der Frauen, der sich strukturell bis in die frühen 1970er Jahre hielt.
80 Jahre ist dieser staatliche Versuch, adäquat auf eine wirtschaftliche Depression zu reagieren her, und für Frauen hat sich gesellschaftlich seither viel getan. Die Schere zwischen Ideal und Realität würde heute eher so gedeutet werden, dass das Ideal der 50+ Quote an erwerbstätigen Frauen, wie es viele progressive Stimmen fordern in der Realität noch nicht erreicht ist. Trotzdem könnte anhand unzähliger Beispiele aufgeführt werden, dass Frauen immer noch in vielen Teilen der Gesellschaft – ob durch gesellschaftliche oder rechtliche Zwänge – benachteiligt werden, eine volle Gleichberechtigung ist bei weitem noch nicht erreicht. Und ist auch deshalb noch nicht erreicht, weil längst nicht alle Widerstände aufgehoben sind. Deshalb ist auch die Frage nach den Auswirkungen der Krise, die aller Erwartung nach 2009 vollends bei den Bürgern angekommen wird, auf die weibliche Bevölkerung weiterhin relevant. Die britische Journalistin Ruth Sunderland sieht für Großbritannien und alle westlichen Nationen einen durch die Wirtschaftskrise bedingten Durchbruch von Frauen, sieht vielleicht sogar eine Aufhebung bisheriger gesellschaftlicher Widerstände: „Male failure might open up opportunities for women to smash trought the glass ceiling.“ Dies wird nicht von selbst passieren. Denn egal wie weit die Emanzipation der Frauen im 21. Jahrhundert fortgeschritten ist, die Gesellschaft, die öffentliche Meinung, die rechtliche und staatliche Unterstützung von Frauen ist an vielen Stellen noch nicht nachgezogen. Weibliche Arbeitsplätze sind auch jetzt wieder unter den ersten Betroffenen, weibliche Arbeitnehmer sind auch heute noch meist schlechter abgesichert und haben mehr familiäre Verantwortung, die im Fall der Arbeitslosigkeit auf ihnen lastet. Deshalb ist die Euphorie von Frau Sunderland verständlich, jedoch kritisch zu betrachten, da sie selbst diesen Status Quo aufführt. Denn eher ist zu erwarten, dass gerade Frauenförderungsmittel wie Beschäftigungsquoten bei hoher Arbeitslosigkeit auch heute schnell wieder unter Beschuss stünden. Bei politischen wie wirtschaftlichen Krisen bestätigt sich am Beispiel des New Deal, dass zumindest in den traditionellen Geschlechterrollen Stabilität und Sicherheit liegt, und sich diese in den 1930ern deshalb zementierten. Dieses zementierte Rollenverständnis schließlich schaffte es sogar, die Umsetzung von Regierungsprogrammen zu beeinflussen, und strahlte so weitaus länger als nur über die Depression hinweg ihren Einfluss aus. 2009 ist nicht 1929, soviel ist klar. Frau Sunderland sollte sich trotzdem auch heute noch die Frage stellen, wie unumstößlich Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft angesichts einer wirtschaftlichen Krise wirklich ist.
Die Autorin Kristina Kütt ist Koordinatorin des Fachforums Gleichberechtigung.
[1] Ware, Susan: Holding their own: American Women in the 1930s, Boston 1982, S. 8 [2] Ware, Holding their own, S. 12f [3] Chafe, William: The American Woman. Her changing social, economic and political roles 1920- 1970, London 1972, S. vii. [4] Scharf, Lois/ Jensen, Joan M.: Decades of Discontent. The Womens´Movement 1920- 1940, Westport 1983, S. 46

Quellen- und Literaturangaben:
* Sunderland, Ruth: The real victims of this credit crunch? Women!, in: The Guardian, 18. Januar 2009, www.guardian.co.uk/lifestyle/2009/jan/18/women-credit-crunch-ruth-sunderland.com (Zugriff am 19.1.2009)
* Chafe, William: The American Woman. Her changing social, economic and political roles, 1920 – 1940, London 1972.
* Mettler, Suzanne: Dividing Citizens. Gender and Federalism in New Deal Policy, Ithaca 1998.
* Scharf, Lois/ Jensen, Joan M.: Decades of Discontent. The Women´s Movement 1920- 1940, London 1983.
* Ware, Susan: Holdig their Own. American Women in the 1930´s, Boston 1982.