Ein Beitrag von Ole Hilbrich im Vorfeld der Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen zum Thema „Ökologischer Lebensstil – Modeerscheinung oder Lebensphilosophie?“
Selten hat sich die Menschheit sehenderen Auges einer ihre Existenz bedrohenden Krise genähert. Schmelzende Gletscher, Wirbelstürme und Überschwemmungen bisher ungekannten Ausmaßes machen sichtbar, was IPCC-Bericht der Vereinten Nationen und ein Update der Studie des Club of Romes wissenschaftlich untermauern:
Ein Kollaps der Ökosysteme in weniger als 100 Jahren ist möglich, Massenflucht vor Dürre, Überschwemmungen und neuen Krankheiten wahrscheinlich. Leider reicht die Reaktion von Politik und Privatpersonen bei weitem nicht aus. Wenn schon die Einigung auf verbindliche Klimaziele wie beim G8-Gipfel mit solchen Schwierigkeiten verbunden ist, scheint die Festlegung von wirksamen Instrumenten zur Emissionsreduzierung durch die Regierungen und Parlamente aussichtslos. Und obwohl Bioprodukte boomen und die Akzeptanz erneuerbarer Energien und energiesparender Elektrogeräte steigt, ist ein ernsthafter Lebenswandel einer großen Mehrheit in den so genannten Konsumgesellschaften bisher undenkbar.
Stattdessen wird die Angst geschürt vor Milliarden InderInnen und ChinesInnen, die durch Nachahmung der ökologisch fatalen Entwicklung der Industriegesellschaften der Erde den entscheidenden letzten Tritt verpassen. Bleibt uns also nichts anderes übrig als den Kopf in den Sand zu stecken oder uns zum homo galacticus zu wandeln und diesen Planeten zu verlassen?
„Eine andere Welt ist möglich“ heißt es als Antwort in der Umweltbewegung.
Doch wie lassen sich Menschen zum ökologischen Handeln verpflichten?
Wie bringt mensch Menschen zum Handeln?
Diese Frage ist ethischer Natur und sicher so alt wie die Menschheit selbst. Als Antwort offenbart die Menschheitsgeschichte einige nützliche Vereinbarungen und Kodizes, die zumindest einem Teil der BewohnerInnen dieses Planeten heutzutage ein halbwegs angenehmes Leben ermöglichen:
Aller Anfang ist göttlich: Die 10 Gebote und andere weltreligiöse Regeln
„Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht lügen“, „Liebe deinen Nächsten“, denn „Geben ist seliger als Nehmen“.
Scheinen diese Regeln doch im Alltagsleben manchmal fern von jeder Realität, einige Grundmaximen des Christentums prägen für Menschen des Europäischen-Nordamerikanischen-Kulturkreises bis heute was sie als richtig, gut und gerecht empfinden. Auch andere Religionen und Kulturen kennen diese Regeln:
Im Islam begründet die Unterwerfung aller Menschen unter einen Gott, die fundamentale Gleichheit aller Menschen – auch der Geschlechter. In einem großangelegten Syntheseprojekt in den 1990ern versuchte der deutsche Theologe Hans Küng das Übereinstimmende dieser weltreligiösen Regeln und Gebote herauszudestillieren und landete unter anderem bei der so genannten Goldenen Regel: „Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“.
Etwas ähnliches hatte der Aufklärer Kant bereits 1785 erkannt und mit seinem kategorischen Imperativ eine Verpflichtung zum moralischen Handeln begründet, die den Glauben an Gott nicht mehr benötigte.
Erfolgsgeschichte Menschenrechte
Sie entstanden im Kampf gegen Unterdrückung absoluter Herrscher, spielten eine besondere Rolle in französischer und amerikanischer Revolution und fanden ihren Höhepunkt in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen nach den Gräueln von Hitler-Diktatur und Zweitem Weltkrieg: Die Menschenrechte. Die Feststellung der unantastbaren Würde eines jeden Menschen soll uns schützen vor verbrecherischen und ausbeuterischen Angriffen auf unser Leben und unsere Freiheit.
Anders als die Gebote der Kirche, die sich geschichtlich dank Höllenandrohung ebenfalls als Druckmittel der Obrigkeit erwiesen, besagen die Menschenrechte vor allem, welche Mindeststandards Menschen beim Umgang miteinander einhalten müssen. Sie bilden so die Grundlage für selbstbestimmtes Handeln jedes Menschen. Die Angst vor Totalitarismen wie Nationalsozialismus und kommunistischem Stalinismus legt ein für alle mal fest: Das Individuum darf nie mehr für vermeintlich höhere Zwecke instrumentalisiert werden. Wiederum fällt der Bezug zu Kant leicht, der Menschen nur als Selbstzweck, nicht als Mittel verstanden sehen wollte. Heute bilden die Menschenrechte Rechtsgrundsätze, deren Verfolgung zur Einrichtung internationaler Gerichte geführt hat. Wer Rechte bricht, hat mit der Strafe der Internationalen Gemeinschaft zu rechnen, lautet die in der Realität noch viel zu schwache Botschaft.
Helmut Schmidt diskutiert über Menschenpflichten
In einer Welt dominiert von Raubtierkapitalismus und individuellem Gewinnstreben, in der bisherige Normen als vom so genannten Westen aufoktroyiert und nicht für alle Kulturen bindend empfunden werden, müssen Appelle an den Gemeinsinn verbindlicher formuliert werden.
Das fand vor fast genau 10 Jahren zumindest Altkanzler Helmut Schmidt und präsentierte zusammen mit einem aus ehemaligen Staatsmännern zusammengesetzten InterAction Council „Die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“. Die Goldene Regel findet sich auch hier wieder, auch sollen Menschen durch Erziehung zu Toleranz und dem Kampf für das Gute in der Welt verpflichtet werden.
Interkulturell sollen die Menschenpflichten im Gegensatz zu den bisherigen -rechten sein, um einem Kampf der Kulturen vorzubeugen. Schmidt hofft, dass verbindliche rechtliche und politische Konsequenzen auf die Diskussion des Entwurfes folgen.
Auf den Vorschlag folgte eine Debatte und im Endeffekt wurde die Erklärung verrissen:
Gemeinschaft und Moral lassen sich nicht verordnen, hieß es und es wurde die Angst formuliert Menschen sollten in Kollektive wie Staat und Familie gepresst werden. Staaten dürfe ebenfalls nicht die Entschuldigung gegeben werden, Mängel bei der Umsetzung der Menschenrechte auf mangelnde Kooperation der BürgerInnen bei ihren Pflichten zu schieben.
Ökologische Gebote oder ökologische Revolution?
Die Ernsthaftigkeit der Bedrohung durch den Klimawandel verlangt nach einem besseren Erfolg bei der Findung einer Vereinbarung, die Menschen auf den grundlegenden ökologischen Wandel ihres Lebensstils verpflichtet. Andernfalls scheint eine ökologische Revolution einer Minderheit als einziger Ausweg, die weitere Existenz der Menschheit auf diesem Planeten zu sichern.
Welche Mittel und Wege sollten wir also wählen, wenn wir wollen, dass für unsere NachbarInnen der Verzicht auf Inlandsflüge und übermäßigen Fleischkonsum genauso selbstverständlich wird, wie das Eingreifen bei einer Prügelei sich schwer verletzender Menschen?
Einerseits scheint die Idee sozialökologischer Menschenpflichten in Abwandelung von Schmidts Idee verlockend. Als Linke sollten wir uns für einen Weltgesellschaftsvertrag der Menschen einsetzen, der den Ansprüchen jedes/r Einzelnen auf ein Leben in Würde, individuelle Leitlinien sozialen und ökologischen Handelns – damit dieses auch möglich ist – gegenüberstellt.
Grundlage für diese Regeln können neben religiösen und traditionellen Normen, die diesen Gedanken fördern, bestehende internationale Vereinbarungen über soziale Rechte und ökologische Gerechtigkeit sein. Ein abstraktes Prinzip der Nachhaltigkeit muss unter Umständen erst in 10 ökologische Gebote umformuliert werden, damit es auf breites Verständnis und Umsetzungswillen trifft.
Andererseits darf der Weg zu einem neuen Verständnis des Zusammenlebens der Menschen und der Umwelt nicht verordnet sein. Ausformulierte Pflichten könnten das bedeuten:
Die Verpflichtung von Menschen auf eine gewisse Ernährungsweise bis zur Verordnung der richtigen Heiztemperatur scheinen angesichts des existenzbedrohenden Klimawandels zwar zu rechtfertigen.
Will mensch sie allerdings mithilfe staatlicher oder überstaatlicher Institutionen durchsetzen, befinden wir uns bereits mitten in einer ökosozialen Diktatur. Eine Umweltpolizei müsste das Privatleben von UmweltsünderInnen als DissidentInnen der neuen Ordnung überwachen, Pflichtvernachlässigung bestraft werden.
Unser Weg kann und darf also nur an den von uns bereits eingeschlagenen anknüpfen:
Wir müssen international für einen alternativen Lebensstil werben, indem wir durch Vorleben der Alternativen unsere Mitmenschen inspirieren. Unsere Radikalität liegt in unserer Überzeugungskraft, nicht im Aufzwingen unserer Ideale.
Indem wir die ökologische Befreiung der Menschheit demokratisch gestalten, entwickeln wir jahrtausendewährende Kämpfe für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung weiter.
Lasst uns auf unserer Landesmitgliederversammlung nach Wegen suchen, die Wirkungskraft unser geschichtlichen Vorbilder gemeinsam und in einem Bruchteil der Zeit zu erzielen.