30. September 2007

Jetzt ausbilden. Für Morgen.



Seit Jahren fehlen pünktlich zu Beginn des Ausbildungsjahrs im September hunderttausende Ausbildungsplätze. Der Sockel an unausgebildeten AltbewerberInnen und arbeitslosen Jugendlichen wächst und wächst. Sven-Christian Kindler, Mitglied im Parteirat Niedersachsen, fordert jungen Menschen endlich wieder eine Perspektive zu bieten und dafür eine solidarische Ausbildungsplatzumlage einzuführen.

Die aktuelle politische Debatte erscheint paradox. Während die deutschen Unternehmen und Arbeitgeberverbände vehement nach mehr ausländischen Fachkräften schreien, sind sie andererseits nicht bereit hunderttausenden ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres im September 2007 ist kein Hoffnungsschimmer in Sicht. Auch dieses Jahr stellt die Wirtschaft nach Daten der Bundesagentur für Arbeit nur rund 416.000 Plätze zur Verfügung, wovon 86.000 Plätze noch unbesetzt sind. Viel zu wenig, um alle 710.000 BewerberInnen unterzubringen. Werden die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze – z. B. schulische Ausbildungen – dem Gesamtangebot hinzu gerechnet, sind derzeit immer noch mehr als 161.000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. So steigt Jahr für Jahr die Zahl der „AltbewerberInnen“, die ihr Dasein in der Erwerbslosigkeit oder in „Warteschleifen“ fristen. So fanden 2006 rund 160.000 BewerberInnen fanden nach einer Studie des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) keinen Ausbildungsplatz.

Umlegen bitte!

Die katastrophale Lage ist nicht verwunderlich, bilden doch nur 23 % (!) aller Unternehmen in der Bundesrepublik noch aus. 500.000 Betriebe wären nach einer Erhebung des IAB in der Bundesrepublik personell und zusätzlich dazu in der Lage zusätzlich selber ausbilden. Die Zeit ist deshalb schon lange überfällig für die Einführung einer solidarischen Ausbildungsplatzumlage. Das ist auch und gerade im Interesse der vielen klein- und mittelständischen Unternehmen, die sich – anders als die meisten Großkonzerne- für die betriebliche und gesellschaftliche Zukunft engagieren und durch eine Umlage finanziell entlastet werden. Die Umlage stellt dabei keine Strafsteuer dar, sondern eine Abgabe für die Unternehmen, die unterhalb einer festgesetzten Ausbildungsquote liegen, bei der auf 100 ausbildungswillige Jugendliche 112 angebotene Ausbildungsplätze kommen müssen. Die Abgabe fließt in einen Ausbildungsfond ein, mit dem Ausbildungsplätze in Unternehmen, die oberhalb dieser Quote liegen finanziell unterstützt werden. Auch Gewerkschaften und der Staat müssten sich an der Umlagefinanzierung beteiligen. In der seit Jahren schrumpfenden Baubranche hat sich die Ausbildungsplatzumlage mehr als bewährt, so dass eine vergleichsweise hohe Ausbildungsquote in der Branche erzielt wird.

„Moderne Sklaverei“

Am Anfang war für Jaqueline alles schön. Sie hatte endlich eine Ausbildung als Hotelfachfrau gefunden. Doch dann fingen die Probleme an. Ihre 40-Stunden Woche steht auf dem Papier. In der Regel sind es eher 70 Stunden, die Überstunden werden nicht bezahlt, und wenn sie Glück hat, hat sie einen Tag in der Woche frei. Sie fragt selbst: „Das ist doch moderne Sklaverei?!?“ Sara, die eine Ausbildung zur Textilreinigerin absolviert, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich will nicht mehr. Wir werden ausgebeutet von A bis Z, und so richtig beigebracht wird uns nur was in der Schule!“ Die Schicksale von Jaqueline, Sara und vielen anderen Auszubildenden sind dokumentiert im „Schwarzbuch Ausbildung“ des DGB, in dem Mängel und Missstände in der Ausbildung aufgedeckt werden. Diese Fälle machen deutlich, dass die im Rahmen einer Umlage rein quantitative Schaffung von Ausbildungsplätzen nie das alleinige Ziel sein kann. Um Dumping und Ausbeutung in der Ausbildung zu verhindern, ist deshalb eine Zertifizierung für Ausbildungsbetriebe notwendig, um durch unabhängige Kontrollen zu gewährleisten, dass sich Unternehmen an die tariflichen und gesetzlichen Regelungen bei der Ausbildung halten.

Bildung ganzheitlich betrachten

Eine Grüne Bildungspolitik sollte den Bereich der Ausbildung nicht isoliert betrachten, sondern in ein integriertes Gesamtsystem stellen. Teilweise zu Recht beklagen ArbeitgeberInnen die mangelnde Ausbildungsfähigkeit von BewerberInnen. Das Schulsystem sollte deshalb nach Grünen Vorstellungen mit einer gemeinsamen „Neuen Schule“ auf die bestmögliche Förderung der SchülerInnen eingehen, um jungen Menschen die aktive und selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, wozu auch – aber nicht nur – der Arbeitsmarkt zählt. Weiterhin muss die zunehmende Ökonomisierung der Bildung (Gebühren für KiTa und Studium, eingeschränkte Lernmittelfreiheit) gestoppt werden, da gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten dadurch schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben, u.a. auch weil auch immer mehr AbiturientInnen sich wegen der Belastungen durch die Studiengebühren für eine Ausbildung entscheiden. Doch die Defizite im Bildungssystem dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unternehmen sich durch eine solidarische Ausbildungsplatzumlage – auch in ihrem eigenen Interesse – angemessen an der Finanzierung und Ausgestaltung des Bildungssystems beteiligen müssen.

Für Morgen ausbilden

Grüne Politik tritt ein für Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Bildung ist der Schlüssel um diese beiden elementaren Ziele zu erreichen. Gerade für junge Menschen ist eine flächendeckende und qualifizierte Ausbildung von enormer Bedeutung, um ihnen eine echte Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft zu geben. Auch die Wirtschaft, die jetzt noch über den selbstverschuldeten Fachkräftemangel klagt, profitiert von einer konsequenten Förderung von Auszubildenden. Die Weichen für Morgen werden jetzt gestellt und es wird zentral dabei sein, welchen Weg unsere Gesellschaft wählt. Wir können den eingeschlagenen Pfad weiter gehen. Dann werden hunderttausende Jugendliche weiterhin ohne Aussicht auf Ausbildung alleine gelassen werden und können sich langfristig auf eine „Karriere“ in der Erwerbslosigkeit einstellen. Oder wir versuchen den jungen Menschen in diesem Land wieder eine Perspektive zu geben und ihnen durch eine Ausbildung die Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen. Die Weichen für Morgen werden jetzt gestellt. Für welchen Weg entscheiden wir uns?
Von Sven-Christian Kindler, Sprecher der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen und Mitglied im Parteirat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen.
Dieser Artikel erschien erstmalig in den „Grünen Seiten“, der Zeitung der Grünen Hannover.



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