7. Februar 2006

„Keine weitere Liberalisierung“



Die Globalisierung des Kapitals schreitet immer weiter voran. Ökologie, Demokratie und soziale Rechte drohen dabei auf der Strecke zu bleiben. Im Interview sprach IGEL-Koordinator Sven-Christian Kindler für den kommenden IGEL, die Zeitung der GJN, mit dem Ökonom und Globalisierungsexperten Sven Giegold über die globale Umweltzerstörung, die Macht der Welthandelsorganisation und die Grüne Entwicklungspolitik.

Die ganze Welt spricht von Globalisierung. Doch keineR, weiß genau was das eigentlich ist. Wie würdest du dieses Phänomen Globalisierung beschreiben.
Die Globalisierung sorgt für eine Entgrenzung in allen Bereichen. Immer mehr Prozesse, die vorher auf Regionaler oder nationaler Ebene finden jetzt über Ländergrenzen hinweg statt. Das ist vermutlich die einfachste Definition, ansonsten füllt die Diskussion um die Definition Bücher und Bände und jede umfangreichere Definition würde hier den Rahmen sprengen.
Welche Auswirkungen hat diese Entgrenzung für die Umwelt, gerade bei wirtschaftlichen Produktionsprozessen?
Der Hauptprozess der Globalisierung sorgt momentan dafür, dass immer größere Teile der Welt die kapitalistische Wirtschaftsweise übernehmen. Positiv betrachtet, bewirkt das einen höheren materiellen Wohlstand für die Gewinner. Ein anderer Teil der Menschen in den Entwicklungsländern wird gleichzeitig marginalisiert. Negativ wirkt sich der Prozess auf die Umwelt aus, da er einen schnelleren Zugriff auf Rohstoffe und natürlich Ressourcen bedeutet. Das kann man überall in Entwicklungs- und Schwellenländern betrachten, wo in hoher Geschwindigkeit es einerseits zu Verbreitung der Umweltverschmutzung und andererseits der Zerstörung der Natur kommt.
Welche Rolle spielen dabei die internationalen Finanz –und Handelsorganisationen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfond (IWF), oder die Welthandelsorganisation (WTO)?
Da muss man jetzt genau unterscheiden. Diese Institutionen haben jeweils ihre eigene Rolle.
Die Weltbank vergibt Kredite für Entwicklung. Das ist prinzipiell nichts schlechtes, nur die Vergabekriterien dafür sind, gerade aus ökologischer Sicht, sehr bedenklich. Vor allem werden immer wieder Kredite für Großprojekte, wie riesigen Staudämmen, oder für Rohstoffabbau herausgegeben. Diese Projekte haben ganz konkrete schädliche Folgen für die Umwelt in den Entwicklungsländern, verletzen Menschenrechte oder werden oft auf der Basis unrealistischer Annahmen vergeben.
Der IWF vergibt im Gegensatz zur Weltbank Kredite für Staaten, die in Zahlungsschwierigkeiten sind. Dabei werden den betroffenen Ländern Auflagen zur Liberalisierung der Wirtschaft und des Außenhandels diktiert. Die Auflagen hießen früher Strukturanpassungsprogramme und werden mittlerweile Armutsbekämpfungsprogramme genannt, haben sich aber in ihren zerstöririschen Auswirkungen auf Umwelt und Entwicklung kaum verändert. Die Länder werden durch die Auflagen des IWF gezwungen möglichst schnell höhere Exporterlöse zu erzielen. Jedoch können viele Entwicklungsländer diese Exportauflagen nur durch einen Zugriff auf ihre natürlichen Ressourcen erwirtschaften.
Bei der Welthandelsorganisation stellt sich die Situation wieder etwas anders dar. Die WTO verpflichtet Staaten in einem gegenseitigen Verhandlungsprozess ihren Außenhandel zu liberalisieren. Für viele Entwicklungs- und Schwellenländer geht es dabei um sehr grundlegende Fragen. Bei der Landwirtschaft zum Bespiel kommt es zu einem internationalen Dumping, da die Industriestaaten ihre Produkte durch massive Subventionen billig in die Länder des Südens exportieren können. Dort werden nachhaltige landwirtschaftliche Produktionsstrukturen zerstört und einheimische Erzeugnisse werden durch importierte subventionierte Produkte der reichen Staaten ersetzt. In der WTO gibt es eine Reihe weiterer Abkommen, die ökologisch katastrophale Folgen haben. Bei TRIPS beispielsweise, dem Vertrag über die intellektuellen Eigentumsrechte, wird multinationalen machtvollen Saatgutfirmen die Möglichkeit gegeben sich lokales jahrhundertealtes Wissen anzueignen und zu verwerten, und damit die lokalen Produktionsstrukturen zu verdrängen oder sogar komplett zu zerstören.
Das ist alles sehr kurz nur angerissen und in wenigen Worten in einer Frage sind diese Strukturen und Mechanismen nur annäherungsweise begreiflich zu machen.
Du sagtest gerade „die WTO verpflichtet Staaten“. Entschieden wird in der WTO jedoch nach dem Konsensprinzip. Ist das nicht eine demokratische, gerechte Vorgehensweise? Weiterhin sprachst du das „Dumping“ an. Doch insbesondere die Welthandelsorganisation hat es sich zur Aufgabe gemacht Dumping, Subventionen, Zölle abzuschaffen. Bietet das den Entwicklungsländern nicht neue wirtschaftliche Chancen?
Ich sagte eben auch schon, dass die Verpflichtungen bei der WTO auf einem gegenseitigen Verhandlungsprozess beruhen. Die entscheidende Frage ist natürlich, was bedeutet Konsens in einer solchen Organisationen. Über die Verhandlungsprozesse gibt es viele Berichte, die klar belegen, dass kleine und wenig machtvolle Staaten dort kaum etwas zu melden haben.
Geändert hat sich die gestärkte Rolle der Schwellenländer, wie Brasilien, Indien aber auch China. Das hat die Machtbalance in der Organisation deutlich verändert, weswegen es auch in den letzten Jahren nicht so schnelle Konsense zum Nachteil dieser Schwellenländer gegeben hat. Trotzdem kann man nicht von einer Gleichberechtigung der Staaten in der WTO sprechen.
Weiterhin stellt sich in Bezug auf das Dumping die Frage, was die zentralen Probleme der WTO sind, die es zu lösen gilt. Ist es so, wie es die Neoliberalen vertreten, dass die Hauptprobleme des Welthandels die Subventionen und die ungleiche Öffnung der Märkte sind? Und wenn diese Probleme beseitigt wären, würde der freie Welthandel nach der neoliberalen These für alle Vorteile bringen.
Dagegen steht die These, die nicht bestreitet, dass Subventionen und die Marktabschottung der reichen Länder des Nordens teilweise schädlich für die Entwicklungsländer sind. Jedoch der vermeintlich daraus abzuleitende Schluss, dass deshalb das beste System für die Entwicklungsländer ein System total geöffneter Märkte wäre, ist schlichtweg falsch. Alle Länder, wie Südkorea, Japan, China, aber auch Deutschland oder die USA, die es geschafft haben, in hochproduktiven Bereichen eigene Industrien aufzubauen, haben vorher erstmal ihre eigenen Märkte geschützt. Diese Basis für Entwicklung wollen die reichen Länder jetzt den armen Ländern verwehren. Hinzu kommt, dass man nicht nur den Schutz des eigenen Marktes verlangt, sondern dass auch die Ideen, die selbst nach der neoliberalen ökonomischen Theorie kostenlos sein sollten, mit Preisen belegt werden. Konkret, nach heutiger Rechtslage in der WTO, hätte Deutschland die Idee der Dampfmaschine den Briten gestohlen.
Kein Land, das sich erfolgreich industrialisiert hat, musste dabei für andere Ideen zahlen. Das heißt letztendlich ist das WTO-System ist nicht das entwicklungsförderlichste.
Andererseits bedeutet das natürlich nicht, dass man deshalb Exportsubventionen des Nordens oder hohe Zölle bei weiterverarbeiteten Agrarprodukten in der EU oder den USA verteidigen sollte. Das ist natürlich abzuschaffen. Doch deswegen muss man noch lange nicht die Katze im Sack kaufen und für den totalen Freihandel eintreten.
Immer mehr Menschen haben das Gefühl durch die Globalisierung machtlos zu werden. Viele Entscheidungen werden längst nicht mehr durch Volksentscheide oder von Parlamenten getroffen, sondern von Regierungen bei Wirtschaftsverhandlungen oder Firmenvorständen und AktionärInnen entschieden. Welche Möglichkeiten haben die Bürgerinnen und Bürger die Globalisierung demokratisch zu gestalten?
Das ist einer der zentralen Widersprüche des ganzen Globalisierungsprozesses. Anspruchsvolle Demokratie setzt Nähe voraus. Doch wenn die meisten Menschen, ob als Touristen oder als Konsumentinnen und Konsumenten, die Vorteile wirtschaftlicher Internationalisierung befürworten und nutzen wollen, so muss man versuchen Demokratie zu internationalisieren, um den Konzernen nicht die totale Macht zu überlassen. Selbst wenn dies die Natur von Demokratie natürlich verändert.
Das Grundproblem des heutigen Demokratiedefizits besteht darin, dass wirtschaftliche Entscheidungen längst global getroffen werden, während soziale und ökologische Entscheidungen nationalstaatlich, und damit auf zu niedrigem Niveau, stattfinden. Weiterhin wirkt sich nicht nur die mangelnde Möglichkeit der Partizipation der Menschen demokratieschädlich aus, sondern auch dass Nationalstaaten viele Entscheidungen, die von den Bürgern gewünscht sind, nicht mehr treffen können ohne sich massiv wirtschaftlich zu schädigen.
Auch das ist durch eine Internationalisierung der Demokratie zu verändern. Auf europäischer Ebene müssen wir deshalb mehr ökologische und soziale Kompetenzen ansiedeln und auch einen Mut zu Mehrheitsentscheidungen entwickeln. Andernfalls überlassen wir uns der Diktatur des Marktes. Wenn man aber Demokratie internationalisiert, muss man gleichzeitig Formen finden, in denen Bürgerinnen und Bürger ernsthaft mitwirken können.
Es muss deshalb auf europäischer Ebene bindende Volksentscheide, eine starke Rolle für Nicht-Regierungsorganisationen und Bürgerinitiativen und Wahlrechts- und Parlamentsreformen geben. Entscheidend ist dabei auch eine tiefgehende Transparenz über internationale Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse.
Die Mehrzahl der deutschen Ökonomen ist sich einig. Durch die Globalisierung stehe der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb mit anderen Ländern, zunehmend auch mit Osteuropa und China. Mit seinen hohen Löhnen, weitreichenden ArbeitnehmerInnenrechten und ökologischen Standards sei Deutschland nicht mehr konkurrenzfähig. Folglich wanderten die Firmen ab und Arbeitsplätze würden abgebaut. Was sollte die große Koalition nun in dieser Lage tun, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen?
Hohe Umweltstandards werden von der Mehrheit der Umweltökonomen als Standortvorteil gesehen, da sie volkswirtschaftlich relativ billig sind und führen dazu, dass man Produkte schneller herstellt, die später gefragt sind. Wer höher im Umweltbereich hat im internationalen Wettbewerb Vorteile. Die Bundesregierung wäre auch aus ökonomischen Gründen gut beraten, anspruchsvolle ökologische Regeln zu setzen.
Anders ist das bei Steuern, sozialen Standards und Löhnen. Mit China und Indien kann Deutschland hier nicht konkurrieren. Die europäische Wirtschaft kann nur in Bereichen hoher Wertschöpfung konkurrenzfähig sein. Dort konkurriert die deutsche Wirtschaft vor allem innerhalb der OECD und insbesondere Europas. Und da ist eindeutig fest zu stellen, dass Deutschland im Vergleich zu den Mitbewerbern in den letzten zehn Jahren Lohnzurückhaltung geleistet hat. Deswegen haben wir so große Handelsbilanzüberschüsse und mitnichten ein Wettbewerbsproblem.
Mittelfristig wird Deutschland als Exportnation allerdings ein Problem bekommen, wenn nicht mehr Anstrengungen im Bereich der Bildung und Innovation unternommen werden. Und da muss besonderen Wert auf ökologische Innovationen gelegt werden, um die Techniken und Produkte herzustellen, die für eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft notwenig sind. Das wäre aus meiner Sicht der klügere Ratschlag, denn weitere Lohnzurückhaltung würde einerseits die Binnennachfrage weiter schwächen und andererseits noch räuberischer mit den unseren Nachbarländern umgehen, die jetzt schon Handelsbilanzdefizite mit Deutschland haben, darunter auch viele osteuropäische Staaten.
Eines der Hauptanliegen von Attac ist die Einführung einer Devisenumsatzsteuer zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Während sich die Regierungschefs von Österreich, Frankreich und Deutschland, sowie das belgische und französische Parlament im Laufe des Jahres 2005 noch für die Einführung der so genanten „Tobinsteuer“ ausgesprochen haben, war die EU-Kommission dagegen und in den Budgetverhandlungen Ende 2005 spielte das auch keine Rolle mehr. Für wie wahrscheinlich hältst du die Einführung „Tobinsteuer“ in näherer Zukunft und wo und wie sollte sie eingesetzt werden?
Es gab immer zwei Ziele bei der Tobinsteuer. Einerseits die Einführung internationaler Steuern und andererseits die Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Klar war immer, gegen die Tobinsteuer stehen sehr mächtige Kräfte. Doch wir haben große Fortschritte gemacht, die du zur Tobinsteuer ja eben aufgezählt hast und außerdem stehen wir jetzt mit der Besteuerung von Flugtickets mehrerer Länder vor der Einführung internationaler Steuern…
…in einer an den ursprünglichen Plänen gemessenen sehr abgeschwächten Form.
Richtig, doch man muss den symbolischen Wert sehen. Es ist ein historischer Schritt, dass Länder erstmals Steuern einführen um die Erträge an die internationale Behörde abzugeben. Das ist ein wichtiger Verdienst des Diskurses den Attac über etliche Jahre vorangetrieben hat. Bei den Finanzmärkten wittern wirtschaftsliberale Kräfte wieder Morgenluft, da es in den letzten Jahren keine große Finanzkrise gab. Ich bin leider davon überzeugt, dass wir erst dann bei der Regulierung der Finanzmärtke weitere Fortschritte machen können, wenn es wieder zu einer tiefen Finanzkrise kommt. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass es nicht lange dauern wird – mit all den negativen Folgen. Leider erst dann werden Vorschläge wie die Tobinsteuer wieder mehr Zuspruch gewinnen. Ansonsten wird die österreichische EU-Präsidentschaft noch mal eine Initiative zur Einführung der Tobinsteuer in der Euro-Zone starten, von der ich nicht glaube, dass sie sich sofort durchsetzen wird. Aber man sieht daran, dass diese Diskussion nicht mehr totzukriegen ist, weil es einfach der Logik von Globalisierung entspricht, auch Steuern und das Handeln von Staaten zu globalisieren.
Internationale Gerechtigkeit ist eines der urgrünen Anliegen. Doch auch unter der rot-grünen Regierung verfolgten Deutschland und die EU bei Verhandlungen der WTO oder der G7 eine neoliberale Freihandelspolitik, die vor allem den Industriestaaten nützte. Wie bewertest du vor diesem Hintergrund die grüne Politik für eine gerechte Globalisierung in der Regierungszeit?
Tja, die Frage lässt ja nur noch eine Antwort zu, nicht? (Er fängt an zu lachen). Ich denke, die größte Enttäuschung war sicher, dass der Grüne Außenminister Fischer sich während seiner Amtszeit für Entwicklungsfragen nicht interessiert hat, obwohl er aus einer Partei kam, zu deren Gründungsanliegen gehörte eine andere Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen. Ganz klar ist, dass Rot-Grün in einigen wichtigen internationalen Fragen, wie den Klima- und Umweltverhandlungen, eine progressive Rolle gespielt hat.
Doch in den zentralen Fragen des internationalen Weltwirtschaftssystem bei Verhandlungen des IWF oder der WTO, in denen die deutsche Bundesregierung einflussreich ist, hat Deutschland eindeutig wirtschaftsliberale Positionen eingenommen und ich hatte nicht den Eindruck, dass das für die Grüne Partei ein großes Problem war. Nach meiner Wahrnehmung spielen Entwicklungsfragen für die Grünen keine zentrale Rolle mehr und dieses Thema wird auch nicht mehr als zentrales Profilierungsfeld gesehen. Außerdem vertreten einige Akteure, die Entwicklungspolitik auf Bundesebene betreiben, selbst stark wirtschaftsliberale Positionen.
Konkret wer?
Zum Beispiel Rüdiger Pelzer, der Co-Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Nord-Süd, hat bei wirtschaftlichen Fragen neoliberale Positionen. Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden, ob sie die Fragen der Nord-Süd-Ungerechtigkeit auch in den internationalen Institutionen wieder einen stärkeren Stellenwert einräumen wollen. Im Vorfeld der WTO-Verhandlungen in Hong Kong gab es ein recht progressives Papier. Wenn diese Forderungen im Regierungshandeln stärker sichtbar gewesen wären, wäre es glaubwürdiger.
Doch ich denke die Grünen könnten die Zeit in der Opposition nutzen die Entwicklungspolitik wieder zu einer zentralen Frage zu machen. Aber sie sollten aufpassen nicht in die wirtschaftsliberale Falle zu tappen, das Hauptaugenmerk im Welthandelssystem nur auf Subventionen zu legen, sondern auch die Möglichkeit von Staaten verteidigen auf demokratische Grundlage eigene Regeln zu machen und sich selektiv vor den Folgen von Handels- und Kapitalverkehrsfreiheit abzugrenzen. Weitere Liberalisierungen darf es mindestens solange nicht geben, wie keine anspruchsvollen sozialen, ökologischen und steuerlichen Regeln auf internationaler Ebene festgeschrieben sind.
Danke für das Gespräch.
Sven-Christian Kindler, 20, ist Koordinator des IGEL und führte das Interview für die am Montag erscheinende Ausgabe des IGEL zu Globalisierung.
Weitere Informationen zur Arbeit von Sven Giegold und Attac sind unterwww.sven-giegold.de und www.attac.de zu finden.



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