18. Mai 2011

Mit Krieg lässt sich nicht gut Werbung machen



Für eine umfassende und wirksame Kontrolle aller offenen und verdeckten Werbe- und Rekrutierungsaktivitäten der Bundeswehr an Bildungs- und Erziehungseinrichtungen in Niedersachsen

Ausgangslage

Durch die im März 2011 beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht hat ausgerechnet die schwarz- gelbe Bundesregierung eine uralte Forderung der Friedensbewegung erfüllt – die faktische Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes für junge Menschen in Deutschland. Die GRÜNE JUGEND hat sich für dieses Ziel seit ihrer Gründung engagiert eingesetzt und begrüßt grundsätzlich das Ende der Zwangsdienste. Was in den letzten Jahrzehnten nicht geklappt hat, wurde in den letzten Monaten – angesichts der historischen Bedeutung dieser Entscheidung – in relativ kurzer Zeit umgesetzt. Bereits Anfang April 2011 wurden keine Wehr- und Zivildienstleistenden mehr eingezogen. Erst jetzt mehren sich in der Öffentlichkeit die Diskussionen, wie der zivile aber auch der militärische Bereich sich in Zukunft ohne die vielen tausenden Zwangsdienstleistenden entwickeln wird. Für die Bundeswehr ist die künftige Gestaltung als freiwillige Berufsarmee die große ungelöste Frage. Eins ist allerdings bereits jetzt klar: Die künftig fehlenden Massen an Wehrdienstleistenden müssen kompensiert werden, um die „internationale Leistungs- und Einsatzfähigkeit der Truppe“ auch in Zukunft zu gewährleisten. Dafür braucht es neue „Freiwillige“.

Die schöne Welt der Werbung – Von Krieg ist nicht die Rede

Die Bundeswehr wird in den nächsten Jahren ihre Werbeaktivitäten für die Nachwuchsgewinnung für die Truppe massiv ausbauen (müssen). Unter dem Slogan „Herausforderungen meistern – Karriere mit Zukunft“ wirbt sie junge Menschen, die sich für den „Soldat_innenberuf“ interessieren. Im Spot sind schöne Bilder zu sehen – junge Frauen und Männer in Aktion mit modernster Technik. Leider fehlen jedoch die Bilder von den Schrecken und grausamen Folgen des Krieges in Afghanistan. Auch die Information, dass bei Eintritt in die Bundeswehr man sich automatisch dazu verpflichtet an den Auslandseinsätzen zu beteiligen, erfahren die Zuschauer_innen des Spots nicht. Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen hält eine derart irreführende Werbung für unverantwortlich. Kein einziges Wort über die realen Gefahren der Auslandseinsätze für die potenziellen Interessierten zu verlieren, ist schäbig und wir fordern das verantwortliche Bundesverteidigungsministerium dazu auf diese Art der Werbung sofort zu beenden. Statt schöner Bilder muss man ehrlich die Realität abbilden.

Anforderungen an Bewerber_innen werden heruntergeschraubt

Nach Recherchen des ARD-Politmagazins Panorama ist das Bundesverteidigungsministerium sogar bereit den Mangel an Freiwilligen durch eine Absenkung der qualitativen Anforderungen an die Bewerber_innen zu begegnen. Laut einem internen Papier zur Attraktivitätssteigerung des Dienstes sollen in Zukunft auch Bewerber_innen mit „unterdurchschnittlicher“ Bildung oder „ohne Schulabschluss“ Soldat_in werden können. Pro Monat werden ca. 1.000 Freiwillige für die Bundeswehr benötigt. Im März 2011 haben jedoch nur 380 Freiwillige zum Dienst gemeldet. Diese Zahlen machen das Problem deutlich: Der Bundeswehr fehlen die Leute und deswegen werden die Anforderungen an die Soldatinnen und Soldaten aufgeweicht. Das ist besonders skandalös, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr diese Menschen voraussichtlich in Kriegseinsätze schicken wird. Die Bundeswehr – auch als Arbeitgeber – wird der Fürsorgepflicht für ihre Soldatinnen und Soldaten nicht gerecht.

Die Bundeswehr im Klassenzimmer

Jugendoffiziere – also junge Soldat_innen – der Bundeswehr sind bereits seit vielen Jahrzehnten in den Schulen aktiv. Sie haben die Aufgabe über die Aktivitäten der Bundeswehr und über aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen der Bundeswehr die Schüler_innen und Lehrer_innen zu informieren. Dies alles geschehe nach dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“. Sie sollen zur politischen Bildung der Schüler_innen beitragen. Es gehe also nur um einen Austausch zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, um eine für die Demokratie schädliche Sonderrolle der Streitkräfte angesichts der negativen Erfahrungen mit der Reichswehr aus den Zeiten der Weimarer Republik zu verhindern. Soweit die Theorie.
Formal ist es den Jugendoffizieren strengstens verboten die Schüler_innen zu werben. Dieses sog. Indoktrinationsverbot lässt sich jedoch leider nicht durchsetzen. Immerhin werben die Jugendoffiziere (zum Teil auch unfreiwillig) mit ihren Biografien und mit ihrem persönlichen Vorbildcharakter für den Soldat_innenberuf und damit für das Militär als Arbeitgeber. Das hat selbst der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, in einem Interview mit dem NDR im Januar 2011 zugegeben. Auf die Frage, ob die Grenze zwischen informieren und werben nicht fließend seien, antwortete er: „Ja, das ist immer so, dass die Grenze zwischen informieren und werben nicht klar, oder je nach Standort jedenfalls zu definieren ist.“
Die Schüler_innen in den Abschlussklassen werden oftmals in einer Situation von den Jugendoffizieren aufgesucht, in der sie sich selbst über ihre eigene Berufs- und Zukunftsgestaltung im Unklaren sind. Während dieser Phase der Orientierung ist ein Angebot vom „Arbeitgeber Bundeswehr“ – häufig allzu einfach und verlockend.
In Niedersachsen obliegt es der Verantwortung jeder einzelnen Schule vor Ort, ob sie die Bundeswehr in die Klassenzimmer lässt bzw. Gesuche annimmt. Dies versteht die Landesregierung unter „Eigenverantwortlicher Schule“. Ebenfalls hat die Landesregierung darauf verzichtet, wie andere Bundesländer mit den Streitkräften eine sog. Kooperationsvereinbarung zu schließen. In diesen Kooperationsvereinbarungen gibt es die Möglichkeit Regeln für die Präsenz der Truppe in der Schule verpflichtend festzuschreiben. Aufgrund dieses unkoordinierten Wildwuchses ist es der Landesregierung auch deshalb nicht möglich solide und umfassende Daten über die Präsenz der Bundeswehr an niedersächsischen Schulen, wie Landtagsanfragen von Grünen und Linken beweisen, zu liefern. Im Hochschulbereich ist die Unübersichtlichkeit übrigens nicht weniger gering.
Die Lehrer_innengewerkschaft GEW „fürchtet den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und Fortbildung“, in NRW fordert ein Bündnis „Schule ohne Bundeswehr“ von der rot-grünen Landesregierung die Aufhebung deren Kooperationsvereinbarung und die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. verlangt Friedensbildung statt Bundeswehr in den Schulen.
Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen solidarisiert sich mit dem Protest zahlreicher Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern gegen die steigende Präsenz des Militärs an unseren Schulen und ruft seine Ortsgruppen dazu auf gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort den Protest zu organisieren. Deshalb fordern wir auch ein Verbot von Aktivitäten der Bundeswehr an allen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen in Niedersachsen. Ebenfalls fordern wir Bündnis 90 / Die Grünen auf diese Forderung in das Programm für die Landtagswahl 2013 aufzunehmen. Grüne sollten als Teil einer linken Regierung in Niedersachsen ab 2013 gegen die bedenklich zunehmende Militarisierung dieser Gesellschaft streiten.

Die Bundeswehr im Lehrer_innenzimmer

Kaum öffentliche Beachtung findet hingegen die Beteiligung von Jugendoffizieren in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Auch dies wird in den sog.
Kooperationsvereinbarungen zwischen den Kultusministerien der Länder und der Bundeswehr geregelt. In einigen Bundesländern, wie z. B. Baden-Württemberg hat sich das Ministerium sogar geweigert neben den Referent_innen der Bundeswehr auch Referent_innen aus der Friedensbewegung bei Aus- und Fortbildungskursen für Lehrkräfte über sicherheitspolitische Fragen zuzulassen.
Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen spricht sich in jeglicher Hinsicht für ein Einbeziehungsverbot der Bundeswehr in die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrer aus. Die Bundeswehr hat einen klaren Auftrag – die Durchführung von Kriegseinsätzen im Ausland – und kann deshalb nicht als „neutrale“ Institution betrachtet werden.

Die Bundeswehr auf Berufs- und Jobmessen – ein Beruf wie jeder andere?

Auch auf Job- und Berufsmessen, die in vielen Fällen von privaten Organisationen ausgerichtet werden, sind die Reklameeinheiten der Bundeswehr mit eigenen Ständen und millionenschweren Werbebudget sehr häufig präsent. Die Strategie – mit moderner (Kriegs-)Technik Interesse zu wecken – ist hier geradezu identisch. Leider sind die Regulierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Bereich extrem eingeschränkt und häufig nicht möglich.
Dennoch appelliert die GRÜNE JUGEND Niedersachsen die Bundeswehr nicht als ganz gewöhnlichen Arbeitgeber zu betrachten und immer wieder kritisch deren Aktivitäten und Angebote auf Messen zu hinterfragen. Für uns ist Krieg immer noch eine besondere Angelegenheit mit zerstörerischen Auswirkungen, die es sich jederzeit lohnt zu verhindern und kein „Alltagsgeschäft“.

Friedensbildung gehört in die Schule

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen unterstützt Forderungen aus der Friedensbewegung, die hingegen auf die Etablierung der sog. Friedensbildung in den Schulen setzt.
Ziele der Friedensbildung in Schulen sind:

  • Möglichkeiten des persönlichen Gewaltverzichts, der friedlichen Streitbeilegung und die Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) vorzustellen und die persönliche Entscheidungsfindung zu fördern.
  • Den Einfluss des gewaltgeprägten Militärapparats als akzeptiertes politisches Instrument zu mindern.

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen bekennt sich zu diesen Zielen und sieht darin einen wichtigen Ansatz gegen die zunehmende Militarisierung in unserer Gesellschaft zu wirken. Wir weigern uns, dass regelmäßige Trauerfeiern für gefallene Soldat_innen, die klammheimliche Einführung von Gefechtsorden innerhalb der Bundeswehr und die vielen tausenden im Ausland eingesetzten Soldat_innen als „Normalfall“ in unserer Gesellschaft betrachtet werden.



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