8. Juni 2021

BESCHLUSS: KLARE GRENZEN FÜR FUNKZELLENABFRAGEN, BETROFFENE INFORMIEREN!



Zusammenfassung:

Wir möchten, dass Betroffene von Funkzellenabfragen informiert werden.
Funkzellenabfragen müssen die Verhältnismäßigkeit beachten. Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert die Einschränkung der massenhaften Verdächtigung Unbeteiligter und die Benachrichtigung aller von Funkzellenabfragen Betroffenen.

 

Funkzellenabfragen sind längst zu einem Standardinstrument der Polizeiarbeit
geworden. Dabei werden die Daten aller Handys, die in einem bestimmten Zeitraum
in einem bestimmten Gebiet eingeschaltet waren, bei den vier Mobilfunknetz-
Betreibern abgefragt und ausgewertet. Erfasst werden dabei sogenannte
Verkehrsdaten, manchmal auch Metadaten genannt, also wer wann wem eine SMS
geschrieben oder mit wem wie lange telefoniert hat. Damit lassen sich dann auch
die Anschlussinhaber*innen ermitteln.

 

Bei diesen sind Abfragen natürlich immer auch viele Unbeteiligte betroffen. Im
Extremfall geraten so mehrere Tausend Menschen ins Visier der
Strafverfolgungsbehörden, was eine kritisch zu bewertende Aussetzung der
Unschuldsvermutung darstellt.

Nicht zuletzt deswegen sind die rechtlichen Anforderungen für dieses
Ermittlungsinstrument hoch: Es darf ausschließlich bei „schweren Straftaten“
(nach § 100a der Strafprozessordnung) oder wenn der begründete Verdacht besteht,
dass eine Straftat mittels Telekommunikation begangen wurde, angewandt werden.
Zusätzlich muss die „Erforschung des Sachverhalts […] auf andere Weise
aussichtslos oder wesentlich erschwert“ sein und die Verhältnismäßigkeit gewahrt
werden, also die Bedeutung der Tat gegen die Verletzung von Grundrechten vieler
Menschen abgewogen werden. Weiterhin gibt es Verpflichtungen, die Betroffenen zu
informieren und nicht mehr benötigte Daten sofort zu löschen.

Dass viele dieser Bestimmungen regelmäßig nicht eingehalten werden, wurde
bereits 2012 vom Berliner Beauftragten für Datenschutz scharf kritisiert:
„Funkzellenabfragen dürfen nicht länger Routinemaßnahmen sein.“

Den Erkenntnissen zufolge wurden in Berlin Funkzellenabfragen zum überwiegenden
Teil im Zusammenhang mit Auto-Brandstiftung und Betrugsdelikten eingesetzt,
führten aber nur in zwei Betrugsfällen zur Ermittlung der Täter*innen. Ein
weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Verpflichtung, gesonderte Statistiken zu
durchgeführten Funkzellenabfragen zu führen und gegenüber Parlamenten oder
Datenschutzbeauftragten berichten zu müssen, damit diese als Kontrollinstanz
fungieren können. Ausgehend von den bekannt gewordenen Fällen und Zahlen aus
einzelnen Bundesländern gehen Hochrechnungen von ca. 50 Funkzellenabfragen
deutschlandweit pro Tag aus. In Niedersachsen ist die Zahl im Vergleich zu
benachbarten Bundesländern besonders hoch, so zeigte eine parlamentarische
Anfrage im Jahr 2017, dass im Vorjahr, fast 20.000 Funkzellenabfragen in
Niedersachsen durchgeführt wurden, was ein Vielfaches der jeweiligen Zahlen in
den benachbarten Bundesländern darstellt ((1]).

Die Betroffenen müssen zwar eigentlich nach der Strafprozessordnung über eine
erfolgte Funkzellenabfrage informiert werden, allerdings gibt es davon
Ausnahmen: so kann gemäß § 101 Abs. 4 Satz 4 StPO von der Benachrichtigung
abgesehen werden, wenn davon auszugehen ist, dass die Betroffenen kein Interesse
an einer Benachrichtigung haben. In der Praxis wir dies nahezu immer angenommen,
das heißt meist wird nur die*der Beschuldigte in einem Strafverfahren über die
Funkzellenabfrage informiert, nicht jedoch die vielen tausend unbeteiligten
Personen, die ebenso erfasst wurden. Das kritisiert die GRÜNE JUGEND
Niedersachsen scharf.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat im November 2014 einen fraktionsübergreifenden
Beschluss gefasst, der neben recht ausführlichen Berichtspflichten auch eine
Benachrichtigung von Betroffenen per SMS vorsieht. Seit 2018 gilt in Berlin ein
Transparenzsystem für Funkzellenabfragen. Dort kann sich Jede*r mit Handynummer
regisitreren und erhält dann Auskunft, wenn sie*er von einer Funkzellenabfrage
betroffen ist. Knapp 60 Millionen Datensätze hat die Berliner Polizei 2017 bei
Funkzellenabfragen erhalten, mit 474 Anfragen, das heißt dass statistisch
gesehen jede*r Berliner*in im letzten Jahr mehrmals von einer solchen Abfrage
erfasst. Bis zur Einführung dieses Systems haben Betroffene nicht davon
erfahren, obwohl im Gesetzt eine Benachrichtigung vorgeschrieben wird. Hier wird
häufig mit fehlendem Interesse der Betroffenen argumentiert. Diese Auskünfte
durch das neue Transparenzsystem werden erst erteilt, wenn ein
Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, d.h. wenn die Staatsanwaltschaft Anklage
erhebt oder das Verfahren einstellt. Das bedeutet, dass es meist mehrere Monate
dauert bis Betroffene von der Funkzellenabfrage erfahren. Auch im
Nachbarbundesland Schleswig-Holstein wird bereits seit 2013 umfassend über den
Einsatz der Funkzellenabfrage informiert.

Für Niedersachsen fordert die GRÜNE JUGEND Niedersachsen einen ähnlichen
Beschluss und ein Informationssystem, kritisiert aber gleichzeitig, dass die
Benachrichtigung nur auf Wunsch hin erfolgen soll.

Daher fordert die GRÜNE JUGEND Niedersachsen,

• die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmethoden ernst zu nehmen und den
Einsatz von Funkzellenabfragen auf ein Minimum zu reduzieren

• die Veröffentlichung von jährlichen Statistiken zur Zahl der
Funkzellenabfragen, betroffenen Gebiete, Zeiträume, Personen und Geräte sowie
zur Zahl der Verfahren nach Delikten.

• alle von Funkzellenabfragen Betroffene wie vorgeschrieben zu informieren. Die
Maßnahme stellt einen deutlichen Eingriff in Grundrechte, insbesondere das
Fernmeldegeheimnis, dar, weshalb nicht davon ausgegangen werden darf, dass kein
Interesse an einer Benachrichtigung besteht.

• Einen ähnlichen Beschluss wie in Berlin zur Transparenz, sowie ein
Informationssystem, das Betroffene informiert auch für Niedersachsen

Quellen:



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