27. November 2020

Beschluss: Nieder mit dem kranken Gesundheitssystem!



Die Coronapandemie hat als Brennglas viele, bekannte Missstände erbarmungslos in
den Fokus gerückt, so auch die Berufe im medizinischen, pflegerischen und
sozialen Bereich. Anerkennung durch Klatschen ist nett, davon füllt sich aber
nicht der Kühlschrank und es verbessert auch nicht die Arbeitsbedingungen.

Die verschiedensten Berufsgruppen wie Sozialarbeiter*innen, Pflegende, Hebammen
und viele Weitere werden von den Arbeitgeber*innen scheinbar immer noch – frei
nach der Devise: „Die streiken eh nicht, da ihnen die Patient*innen zu sehr am
Herzen liegen“ klein gehalten. Dies ist eine Herabwürdigung der Care-Arbeit und
deckt das ausbeuterische Gesicht des Kapitalismus auf. Menschen dürfen, weder
als Patient*innen noch als medizinisches Fachpersonal, zu einer bloßen Nummer in
einem gewinnorientierten System verkommen! Zur Gesundheit gehört Menschlichkeit,
das Gespräch mit dem Gegenüber und genug Zeit, um sich mit Würde begegnen zu
können. Nur so kann eine Versorgung zum Wohle der Menschen sichergestellt
werden. Stattdessen werden Patient*innen in zwei Klassen eingeteilt und
Krankenversorgung zunehmend durchökonomisiert, sodass die bestmögliche
Behandlung Aller verhindert wird.

Auch für das Personal im Gesundheitssystem muss sich viel ändern. Pfleger*innen
müssen viel zu viele Patient*innen alleine betreuen; Hebammen leisten immer mehr
unbezahlte Überstunden; Reinigungskräfte in Kliniken leiden unter Outsourcing.
Durch den chronischen Personalmangel wird ein enormer Zeitdruck aufgebaut.

Wir sind der Meinung: Eine Stoppuhr gehört ins Labor oder an die Laufbahn, aber
nicht ans Krankenbett!

Unser gesamtes Gesundheitssystem muss sich endlich strukturell wandeln.

Behandlung auf Menschen – nicht auf Profite ausrichten!

Durch die Einführung der Diagnosebezogenen Fallpauschale (DRG) im Jahr 2004 in
der Krankenhausbehandlung hat ein radikaler Paradigmenwechsel stattgefunden.
Nicht mehr die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen stehen im Fokus der
stationären Behandlung, sondern der Erlös und damit der betriebswirtschaftliche
Nutzen jedes „Falles“. Damit entstand in den Kliniken ein Leistungsdruck und das
Denken im ökonomischen Wettbewerbsprinzip im Sinne einer fehlgeleiteten
Effizienzsteigerung. Fatal daran ist, dass das DRG invasive Eingriffe (wie
Operationen) belohnt und abwägendes Handeln und konservative
Therapiealternativen ins Hintertreffen geraten. Oft führt dies zu einer
Fehlbehandlung von Patient*innen mit medizinisch nicht notwendigen Operationen.
Jedes Klinikbett wird zu einer Erlösmaschine: Je schneller die Behandlung
beendet und der*die Patient*in entlassen wird, um so mehr neue „Fälle“ können
aufgenommen und damit neue Fallpauschalen und Erlöse generiert werden.

Darunter leiden nicht nur Patient*innen. Weil der Gewinn des Krankenhauses
wächst, wenn dieselbe Behandlungsleistung mit geringeren Kosten erbracht wird,
wurden seit Einführung des DRG-Systems insbesondere Pflegestellen abgebaut, da
es keine Erlösabschläge gibt, wenn die Qualität der pflegerischen Behandlung der
Patient*innen schlechter wird.

Daraus folgt, dass die noch verbliebenen Pflegekräfte immer mehr Patient*innen
versorgen müssen. Von 1995 bis 2017 haben die Fallzahlen in deutschen
Krankenhäusern um 22% zugenommen, die Zahl der Pflegekräfte wurde gleichzeitig
um 6,3% reduziert.

Die Behauptung, eine Kostenexplosion in den Krankenhäuser, die die Einführung
der DRG notwendig gemacht hätte, ist ein Mythos. Durch das DRG-System sind nicht
-wie versprochen- die Gesamtausgaben für den Krankenhaussektor gesunken, sondern
im Gegenteil, sogar angestiegen. Die Deckung von Krankenhauskosten brachte in
den 80er Jahren dagegen keine Steigerung der Gesundheitsausgaben (relativ zum
Bruttoinlandsprodukt) mit sich.

Wir fordern daher, das Fallpauschal-System abzuschaffen. Die Indikationsstellung
für diagnostische, therapeutische und rehabilitative Maßnahmen und Pflege muss
frei sein von Vergütungserwägungen und sich ausschließlich am Patient*innenwohl
orientieren. Stattdessen brauchen Krankenhäuser eine solide Grundfinanzierung
und eine Deckung ihrer jährlichen Ausgaben.

Patient*innen sind Menschen und keine „Fälle“!

Krankenhäuser gehören nicht in die Hände von Wirtschaftskonzernen!

Deutschlands Gesundheitssystem wird seit ca. drei Jahrzehnten privatisiert –
inzwischen sind ca. 37% der Krankenhäuser in privater Hand (Stand 2017). Dies
bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Im Eigentum von
Wirtschaftskonzernen haben Krankenhäuser den primären Zweck, privaten Profit zu
erwirtschaften und sind der demokratischen Gestaltung und Kontrolle weitgehend
entzogen. Um privates Kapital zu akkumulieren, müssen Krankenhäuser
vergleichbare Kapitalerträge abwerfen wie andere Anlageformen. Dies führt zur
Reduktion notwendiger Ausgaben. Durch das profitorientierte Denken entlang des
DRG-Systems, spezialisieren sich private Krankenhäuser außerdem oft nicht anhand
von bestehenden Versorgungsbedarfs, sondern wählen die Behandlungsfelder, die am
lukrativsten sind.

Die Mitbestimmung der Belegschaft(etwa in einem Betriebsrat) wird durch die
privaten Träger teilweise eingeschränkt oder gar nicht richtig ermöglicht.

Wir fordern daher den Erhalt einer öffentlichen Trägerschaft und den
schrittweisen Rückerwerb aller privaten Kliniken bis 2030 durch die Kommunen.
Dafür fordern wir die Landesregierung dazu auf, das nötige Geld an die Kommunen
zu zahlen, damit diese die privaten Krankenhäuser rückerwerben können. Zudem
fordern wir eine erneute Erhöhung der Krankenhausinvestitionen der
Landesregierung, um den Investitionsbedarf, den Niedersachsens Krankenhäuser
haben, decken zu können.

Für die bestmögliche Versorgung – Weg mit dem Zwei-Klassen-Gesundheitssystem!

Eine langfristige und nachhaltige Finanzierung der Gesundheitsversorgung muss
auf einer gerechten Verteilungspolitik basieren. Der lohnabhängige Teil der
Bevölkerung wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter belastet. Er aber
finanziert über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) den bei weitem größten
Teil des Gesundheitssystems, während die Privatversicherten entlastet wurden.
Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der GKV-Versicherten ist nur etwa halb
so hoch wie das der privat Versicherten. Letztere haben zudem ein geringeres
Krankheitsrisiko, da sie durch eine bevorzugte Behandlung beispielsweise kürzere
Wartezeiten bei Fachärzt*innen haben oder die privaten Krankenversicherungen
mehr medizinische Leistungen oder Medikamente bezahlen. Letztendlich zahlen
gesetzlich Versicherte also dafür, dass Gutverdienende nicht in den
Solidarausgleich einbezogen werden. Diese Spaltung ist unsolidarisch, macht
krank und gefährdet die finanzielle Stabilität der Krankenversicherung. Dazu
kommt, dass auch die Finanzierung der GKV unsolidarisch ist: Durch die
Beitragsbemessungsgrenze ist der Beitrag absolut gedeckelt, sodass
Gutverdienende bislang einen geringeren prozentualen Beitrag als Schlecht- und
Normalverdienende zahlen .

Kernziel ist eine komplette Abschaffung des zweigeteilten Krankenversicherungssystems.
Eine solidarische Bürger*innenversicherung soll geschaffen werden, in der alle Menschen
gerecht behandelt werden. Auf dem Weg dahin sollen dieVergütungssysteme von Leistungen
für Patient*innen der privatenKrankenversicherungen und Patient*innen der gesetzlichen
Krankenkassenangeglichen werden, insbesondere die der ambulanten ärztlichen Versorgung.
Alle Versicherten sollen entsprechend ihres gesamten Einkommens aus Löhnen, Honoraren
sowie Miet-, Pacht- und Kapitalerträgen in die Bürger*innenversicherung
einzahlen. Die heute bekannte Beitragsbemessungsgrenze wollen wir abschaffen.
Der Beitrag richtet sich damit nach der finanziellen Leistungsfähigkeit: Wer
wenig hat, zahlt wenig, wer mehr hat, zahlt mehr.

Gesellschaftsrelevante Berufe brauchen soziale Arbeitsbedingungen und faire
Löhne!

Unser Gesundheitssystem produziert auf allen Seiten Verlierer*innen – so auch
bei dem medizinische Fachpersonal. Ob Pflegekräfte, Sozialarbeiter*innen,
Ergotherapeut*innen, Physiotherapeut*innen, Hebammen, MTA´s und noch vielen
Weiteren. Die Liste der Verlierer*innen ist lang. Sie vereinen die extrem
schlechten Arbeitsbedingungen, die niedrigen Löhne und der immer größer werdende
Fachkräftemangel.

I) Menschenwürdige Pflege ermöglichen!

Die prekäre Situation der Pflege ist keine neue, verschärft sich aber immer
weiter. Schlechte Bezahlung, immer mehr Überstunden, kaum eine Möglichkeit für
flexible Arbeitszeiten sowie ein immenser Fachkräftemangel, der zu emotionaler
und körperlicher Überlastung der Pflegekräfte führt. Damit muss nun endlich
Schluss sein.

In Deutschland versorgt eine Pflegekraft im Durchschnitt 13 Patient*innen. Zum
Vergleich: In den USA sind es 5,3 Patient*innen pro Pflegekraft. Die täglichen
Aufgaben, wie das Waschen oder das Verbandswechseln, sind so kaum bis gar nicht
schaffbar. Im Stress steigt dadurch auch die Fehlerquote und es kommt zum
Beispiel häufiger zu einer falschen Medikamentengabe, die fatale gesundheitliche
Folgen für die Patient*innen haben kann. Für menschliche und emotionale
Interaktionen wie Gespräche bleibt meistens gar keine Zeit und die Pflege wird
zur maschinellen Fließbandarbeit.

Wir fordern daher einen verbindlichen Pflegeschlüssel. Dieser muss individuell
an die verschiedenen Bereiche, wie Intensivstationen, Notaufnahmen oder
Altenheime, angepasst werden und deutlich über den heute geltenden
Personaluntergrenzen liegen.

Damit es für einen angemessen niedrigen Pflegeschlüssel auch genug Personal
gibt, muss man an mehreren Punkten ansetzen. Eine Professionalisierung der
Pflege gibt es nur in Verbindung mit lebenslangem Lernen – dies muss sich auch
in den Aufstiegs- und Qualifizierungsmöglichkeiten widerspiegeln. Wir fordern
keine Zusammenführung der drei Pflegeausbildungen, sondern im Gegenteil weitere
Spezialisierungen, wie bspw. psychiatrische Pflege. Auch fordern wir eine
Stärkung von Pflegestudiengängen, in denen allerdings die faire Vergütung von
Praktika und ausreichende Urlausbzeiten gewährleistet werden müssen. Es braucht
außerderdem dringend einen Ausbau von Weiterbildungsangeboten, aber auch
Verpflichtungen, die möglichst in Eigenverwaltung der Pflege organisiert werden.
Wer sich weiterbildet, soll dafür auch deutlich besser bezahlt werden. Auch
fordern wir einen massiven Ausbau der Ausbildungsplätze und ein faires
Vergabesystem, das nicht darauf beruht, dass Bewerber*innen mit Abitur als
geeignet – Bewerber*innen ohne Abitur als ungeeignet angesehen werden. Darüber
hinaus muss die Ausbildungsvergütung deutlich steigen: Wir fordern eine
Ausbildungsvergütung i.H.v. 1500€ im ersten Jahr mit Steigerung in den folgenden
Ausbildungsjahren.

Zudem fordern wir eine bessere Bezahlung. Momentan verdienen Pfleger*innen
deutlich zu wenig für den hohen Stress und die große Verantwortung, die
Pfleger*innen täglich haben. Gerade für Pflegekräfte, die in Städten wohnen, ist
es schwierig, mit diesen Löhnen ein gutes Leben zu führen. Auch für diejenigen,
die jetzt in der Pflege beschäftigt sind, sind die niedrigen Löhne oft ein
Hauptargument, das mit dazu führt, aufzuhören. Denn die Pflege ist oft ein Job,
mit dem man zwar überleben, aber nur eingeschränkt am sozialen Leben teilhaben
kann. Gewerekschaften müssen daher dringend gestärkt werden und
Arbeitskampfmaßnahmen im Gesundheitsbereich müssen auf gesellschaftliche
Unterstützung treffen.

Wir fordern außerdem kurzfristig eine weitere Erhöhung der Mindestlöhne auf
mindestens 20€ pro Stunde für Pflegekräfte. Zudem Stellen wir uns an die Seite
der Gewerkschaften und unterstützen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag
auf dem Niveau des TVÖD. Außerdem fordern wir langfristig eine 30-Stunden-Woche
für Pfleger*innen bei angemessenem Lohnausgleich.

Viele Pfleger*innen leiden unter körperlichen und psychischen Problemen. Es kann
nicht sein, dass Fachkräfte auch im Urlaub gebeten werden, zum Dienst zu
erscheinen, Überstunden in dreistelliger Höhe ansammeln, 12- und mehr
Stundenschichten leisten und zum Teil deutlich mehr als zehn Tage am Stück
arbeiten. Pflege ist aufwändig, sowohl körperlich als auch psychisch. Die
Menschen in diesen Berufen sind nicht selten mit emotional schwierigen
Situationen konfrontiert und unter den momentanen Arbeitsbedingungen ist es
nicht möglich, sich regelmäßig wieder zu erholen, abzuschalten und zu
regenerieren. Die meisten dieser Bedingungen würden durch eine massive
Aufstockung der Personalzahlen bereits deutlich verbessert, allerdings reicht
das nicht aus. Wir fordern Anlaufstellen für Pflegekräfte, die sich um das
psychische Wohl der Fachkräfte, die dies in Anspruch nehmen wollen, kümmern. Das
geltende Gesetz von maximal acht Stundenschichten, welches nur in Sonderfällen
ausgeweitet werden darf, wir in der Pflege beispielsweise durch
Bereitschaftsdienste absichtlich umgangen. Hier fordern wir eine Konkretisierung
des Arbeitszeitgesetzes, um Entgrenzungen der eigentlich geltenden
Maximalarbeitszeiten besser und einfacher zu verhindern. Zuletzt brauchen wir
für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexiblere Arbeitszeiten,
damit nicht -wie momentan- Pflegekräfte dazu gezwungen sind, ihre Arbeitszeit
drastisch zu reduzieren, da der Dienstbeginn vor der KiTa-Öffnung ist. Dafür
braucht es für alle Pflegekräfte eine Garantie für einen 24h-Betreuungsplatz für
ihre Kinder.

II) Für mehr hochwertige Sozialarbeit!

Im Gesundheitssektor werden seit Jahren händeringend Sozialarbeiter*innen
gesucht. Psychische Probleme beginnen oft mit prekären Lebensrealitäten. Abhilfe
können dabei qualifizierte Sozialarbeiter*innen schaffen, die einem bei der
Wohnungs- und Jobsuche sowie bei behördlichen Angelegenheiten helfen können.
Gerade für Menschen, deren Muttersprache nicht deutsch ist, stellen diese
Aufgaben extrem große Probleme da, bei der sie auf Hilfe angewiesen sind. Doch
damit mehr (junge) Menschen Sozialarbeiter*innen werden wollen, müssen die
Arbeitsbedingungen dringend verbessert werden, um dieses Berufsfeld attraktiver
zu machen. Wir fordern ein Ende der befristeten Arbeitsverträge und -wie in
allen anderen sozialen Berufen- höhere Anerkennung und höhere Entlohnung.

III) Gute Arbeitsbedingungen in allen medizinischen Berufen!

Fast alle Berufsgruppen im medizinischen Bereich arbeiten unter prekären
Bedingungen. Ob Hebammen die in Teilen im Normalfall vier gebärende Frauen
gleichzeitig betreuen, Ergo- und Physiotherapeut*innen die für drei komplette,
vollbelegte Stationen alleine verantwortlich sind und alle Patient*innen einzeln
therapieren sollen, oder Reinigungskräfte, die ohne Einarbeitung ganze Etagen
nach hygienischen Standards reinigen sollen. Diese und noch viele weitere
Berufsgruppen haben gemeinsam, dass sie ein extrem hohes Arbeitspensum und
dadurch bedingt viel Stress haben, zahlreiche Überstunden ansammeln, und extrem
schlecht bezahlt werden. Wir fordern daher, dass sämtliches Krankenhauspersonal
direkt beim Krankenhaus angestellt und nach einem flächendeckenden Tarif bezahlt
werden muss. Außerdem fordern wir eine angemessene Ausbildungvergütung aller
medizinischen Ausbildungsberufe, da einige Berufsgruppen, wie
Physiotherapeut*innen immernoch kein verpflichtendes Gehalt in ihrer Ausbildung
bekommen. Zudem fordern wir mehr Personal und ein Ende der befristeten
Arbeitsverträge. Dort, wo es bisher keine Betriebsräte/Personalräte gibt, soll
die Gründung dieser unterstützt werden. Eine Repräsentanz aller am Krankenhaus
beschäftigten Berufsgruppen ist zu gewährleisten.

Das Praktische Jahr (PJ) als unverzichtbare Schnittstelle zwischen theoretischem
Studium und praktischer ärztlicher Tätigkeit befindet sich in der Krise.
Fehlende oder ungenügende Bezahlung bei 40 Stunden Arbeit pro Woche sind die
Regel. 40% der Medizinstudierenden müssen im PJ auf ihr Erspartes zurückgreifen
und rund 28% sind zusätzlich auf Nebenjobs angewiesen. Dazu kommt, dass PJ-
ler*innen selten ausreichend unterrichtet werden und zu wenig Zeit für
Prüfungsvorbereitungen bekommen. Wer auf die Verantwortung, über Leben und Tod
zu entscheiden, vorbereitet werden soll, muss aber richtig angeleitet werden und
von seiner Tätigkeit im Krankenhaus auch leben können. Wir fordern daher
einerseits mindestens den BAföG-Höchstsatz als Aufwandsentschädigung plus
Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag und andererseits eine Erhöhung der
Lernzeiten im PJ.

Mental Health – Nicht nur der Körper soll gut versorgt sein!

Im Bereich der psychologischen Versorgung fehlt es hinten und vorne an
verfügbarem Fachpersonal. Beispielsweise sind die Wartezeiten für einen
psychotherapeutischen Termin viel zu lang, insbesondere da schnelle Hilfe
größeren Problemen vorbeugen und Leben retten kann. Wartezeiten sollen die Dauer
von vier Wochen nicht überschreiten dürfen, denn durch die Stigmatisierung
mentaler Gesundheit in der Gesellschaft wird seitens der Patient*innen ein
Termin oft mit Verzögerung vereinbart. Zur flächendeckenden Versorgung fordern
wir die Einrichtung von Zentren für mentale Gesundheit, die vor allem
niederschwellige Unterstützung im Falle von akuter psychischer Belastung bieten.

Die mentale Gesundheit muss enttabuisiert werden, um Hemmschwellen abzubauen.
Dazu fordern wir die Etablierung von Medienformaten, die sich ausführlich mit
diesem Themenbereich auseinandersetzen. Zudem fordern wir Psycholog*innen in
allen weiterführenden Schulen, sowie die Aufnahme von psychischen Krankheiten in
den Biologieunterricht.

Gegen ein Ausbluten auf dem Land!

Auch Menschen, die in immer dünner besiedelten Regionen leben, haben ein Recht
auf eine gute Gesundheitsversorgung!

Gerade im ländlichen Raum dünnt die medizinische Versorgung vor Ort aber rapide
aus. Das kann zur Gefahr für Patient*innen werden: Lange Anfahrtswege und
Wartezeiten können ein Hindernis für regelmäßige Ärzt*innenbesuche sein, was auf
Dauer negative Folgen für die Gesundheit ganzer Bevölkerungsgruppen haben kann.

In den nächsten Jahren gehen insbesondere auf dem Land viele Ärzt*innen in den
Ruhestand. Wenn nicht schnell Initiative ergriffen wird, verschärft sich der
schon jetzt akute Mangel in der medizinischen Grundversorgung in den ländlichen
Räumen rapide weiter. Zu einem guten Leben auf dem Land wird nicht nur 5G an
jeder Milchkanne benötigt, sondern auch die Möglichkeit ergoogelte Diagnosen von
Fachpersonal überprüfen zu lassen. Telemedizin kann hier ein hilfreiches Mittel
sein, ersetzt aber nicht den persönlichen Kontakt.

Als Anreiz lehnen wir eine Studienplatzgarantie im Gegenzug für eine
Verpflichtung, nach dem Studium im ländlichen Raum zu arbeiten, klar ab. Eine
solche Verpflichtung ist nicht nachhaltig, spielt mit den Nöten von weniger
privilegierten Studienplatzanwärter*innen und ermöglicht wohlhabenden
Studierenden, sich nach dem Studium von der Verpflichtung auf dem Land arbeiten
zu müssen, freizukaufen.

Allgemeinmediziner*innen und Frauenärzt*innen müssen attraktive Bedingungen
vorfinden, um sich freiwillig für einen Praxissitz im ländlichen Raum
entscheiden zu können. Praxisausstattungen und Räumlichkeiten müssen
subventioniert, Hausbesuche besser vergütet und ein Grundgehalt aus öffentlichen
Geldern finanziert werden. Um mittelfristig ein gutes und zeitgemäßes
Arbeitsumfeld bieten zu können, fordern wir medizinische Versorgungszentren auf
dem Land, aber auch in der Stadt. Gleichzeitig bieten solche Versorgungszentren auch
die Möglichkeit, die ambulante und stationäre Versorgung besser zu verzahnen.
So können Ärzt*innen multiprofessionel zusammenarbeiten, was ihnen und den
Patient*innen umfassendere Behandlungsmöglichkeiten bietet. Der dadurch
steigende Bedarf an Ärzt*innen muss langfristig über mehr Studienplätze gedeckt werden.

Solidarisch finanzieren, was den Kriterien evidenzbasierter Medizin entspricht!

Alle Behandlungsmaßnahmen, Arzneimittel und Hilfsmittel, die medizinisch
sinnvoll sind und deren Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Standards
nachgewiesen wurde, sollen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Wir
stellen uns damit explizit gegen den Trend zu immer mehr sogenannter IGeL-
Leistungen (individuelle Gesundheitsleistung), bei der immer mehr Maßnahmen von
den Patient*innen selbst gezahlt werden müssen (bspw. einige Krebs-
Früherkennungsmaßnahmen, Ultraschall-Untersuchungen, Lipödem-Operationen oder
Verhütungsmittel).

 

Wir stellen fest, dass der gesellschaftliche Zulauf zu sogenannten alternativen
Heilmethoden vor allem darin begründet liegt, dass Heilpraktiker*innen, aber
auch ärztliche Homöopath*innen, sich wesentlich mehr Zeit für ihre Patient*innen
nehmen können und diese Zeit auch vergütet bekommen. Demgegenüber besteht im
ambulanten wie im stationären Bereich ein eklatanter Mangel an ärztlicher Zeit
und damit auch ein Mangel an Zeit für ausführliche Patient*innengespräche
seitens approbierter Ärzt*innen. Diesem Mangel an ärztlicher Zeit muss sowohl
durch mehr Medizinstudienplätze und Kassenzulassungen als auch durch eine angemessene
Vergütung von mehr Gesprächszeit begegnet werden.Außerdem kann eine
Entlastung von Ärzt*innen durch Übertragung bisher exklusiv ärztlicher Kompetenzen
auf andere Gesundheitsfachberufe begegnet werden. Auch ein wesentlich vereinfachter und
niedrigschwelliger Zugriff auf Psychotherapie kann das Problem lösen, dass
einige Patient*innen sich derzeit nicht richtig zugehört fühlen und daher
sogenannte Alternativmediziner*innen aufsuchen.

Die Finanzierung nicht evidenzbasierter Heilverfahren durch die
Solidargemeinschaft lehnen wir ab. Allerdings sprechen wir uns dafür aus, dass
sog. alternative Heilverfahren, soweit medizinisch sicher und vertretbar, anhand
wissenschaftlicher Standards auf ihre Wirksamkeit überprüft werden und dann ggf.
in den Katalog wissenschaftlich anerkannter Heilverfahren aufgenommen werden,
die von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Um Patient*innen-Sicherheit
zu gewährleisten ist darüber hinaus eine tiefgreifende Reform des
Heilpraktiker*innen-Wesens notwendig. Wir fordern hierzu, dass eine staatliche
Ausbildung nach einheitlich definierten Ausbildungs- und Prüfungskriterien
eingeführt wird und die bisherige Praxis, nach der der Titel „Heilpraktiker*in“
ohne eine Ausbildung, sondern lediglich durch das Bestehen einer Prüfung,
erworben werden kann, abgeschafft wird. Die staatliche Ausbildung soll
ausschließlich evidenz-basierte Verfahren lehren. Außerdem müssen klare
Qualitätskriterien benannt werden, die ermöglichen, Behandlungsfehler zu
ahnden.Darüber hinaus muss dringend neu definiert werden, welche Krankenheiten
ausschließlich von Ärzt*innen behandelt werden dürfen und unter welchen
Umständen welche Behandlungsverfahren überhaupt von nicht-ärztlichen Heilberufen
ausgeführt werden dürfen.

Für die Überwindung der Gender-Data-Gap!

Die Ungleichstellungen zwischen den Geschlechtern zeigt sich leider auch in der
Medizin viel zu deutlich. Der männliche Körper und dessen Symptome werden meist
als Referenz für den Weiblichen genommen. Der weibliche Körper zeigt bei
bestimmten Krankheiten und Verletzungen andere Symptome als der männliche. Und
auch die Wirkung von Medikamenten unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern,
da aufgrund der biologischen Unterschiede Medikamente zum Beispiel durch Hormone
anders verstoffwechselt werden. Dies kann zu lebensgefährlichen Fehldiagnosen
und Falschbehandlungen bei Menschen, die keinen männlichen Körper haben, führen,
die vermeidbar wären.

Dass der männliche Körper als Norm angesehen wird, zeigt sich insbesondere in
der Studienlage. So müssen Medikamente nicht verpflichtend an Frauen, Inter* und
Trans*-Personen getestet werden und eine differenzierte Betrachtung bleibt
schlicht ergreifend aus. Dies zeigt sich zum Beispiel beim Broken-Heart-Syndrom,
bei dem die Erkrankten in 90% der Fällen weiblich sind. Die Tierversuche zu
dieser Erkrankung wurden in der Vergangenheit allerdings ausschließlich an
männlichen Ratten durchgeführt.

Doch nicht nur in der Forschung, sondern auch bei der Ausbildung von
medizinischem Fachpersonal, orientiert sich die Lehre am männlichen „Standard“.
So werden die geschlechtsspezifisch anderen Erscheinungsbilder von Erkrankungen
oft nicht gelehrt. In Deutschland gibt es ausschließlich an der Charite in
Berlin Genderstudies als Pflichtfach im Humanmedizinstudium. An allen anderen
Universitäten wird dieses Fach gar nicht oder nur freiwillig im Medizinstudium
gelehrt.

Damit Menschen, die keinen männlichen Körper haben, in der Medizin endlich
gleich behandelt werden, fordern wir eine verpflichtende Testung von
Medikamenten in Studien an Frauen, Inter* und Trans*-Personen in Relation zum
geschlechtsspezifischen Auftreten der Erkrankung. Bei Medikamenten, die in der
Zulassungsstudie ausschließlich an Männern getestet wurden, aber bereits
zugelassen worden sind, fordern wir, dies nachzuholen. Allgemein sollten Proband*innen
klinischer Studien alle relevanten Charakteristika abdecken, welche die Wirksamkeit
des zu testenden Arzneimittels beeinflussen. Diese umfassen neben dem Geschlecht
auch das Alter und die Morbidität.

Zudem fordern wir Genderstudies als Pflichtfach an allen medizinischen
Universitäten, in den Fächern Human- und Zahnmedizin. In den Ausbildungen der
medizinischen Fachberufe sollen ebenfalls Aspekte der Gender Medicine behandelt
werden.

Diskriminierung bei Spenden abschaffen!

Die immernoch anhaltende Diskriminierung von Männern, die mit Männern Sex haben
(MSM), bei der Spende von Blut und Knochenmark muss endlich beendet werden. Für
diese Benachteiligung gibt es keine rationale Begründung. Aktuell dürfen MSM nur
dann Blut spenden, wenn sie ein ganzes Jahr auf Sex verzichten. Dass dabei im
Gegensatz zu hetereosexuellen Menschen nicht danach gefragt wird, ob es sich um
wechselnde Geschlechtspartner*innen handelt, ist diskriminierend. Wir fordern,
dass für Menschen unabhängig ihrer sexuellen Orientierung individuell das Risiko
einer Blutspende geprüft wird. Ausgeschlossen werden soll man nur noch werden
dürfen, wenn eine Spende für Spender*in oder Empfänger*in mit einem
gesundheitlichen Risiko verbunden ist.

Für eine neue, bessere Drogenpolitik!

Die restriktive Drogenpolitik in der Bundesrepublik zeigt Wirkung, aber keine
positive. Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen setzt sich für die Legalisierung aller
Drogen und umfangreiche Informations- sowie Präventionsmaßnahmen ein. Wir
erkennen, dass Drogenkonsum grundsätzlich verschiedene und zum Teil erhebliche
Risiken birgt, denen nach einer Legalisierung jedoch deutlich besser begegnet
werden kann. Denn bei der Legalisierung geht es zu einem großen Teil darum,
Konsument*innen zu schützen. Durch Kriminalisierung wird nämlich niemandem
geholfen. Im Gegenteil, der Konsum wird unsicherer, da was offiziell nicht
existieren und vertrieben werden darf auch nicht auf toxische Inhaltsstoffe
überprüft werden kann. Deshalb fordern wir die Einführung eines
Drogeninformationszentrums (DIZ) nach schweizerischem Vorbild. Das DIZ soll vor
allem für eine gute Drogeninformation und -beratung in und außerhalb von Schulen
sorgen. Dort soll Aufklärung in Bezug auf alle Drogen, inklusive Alkohol und
Tabakwaren, umgesetzt werden. Zudem fordern wir, den rechtlichen Rahmen
anzupassen, um Kommunen und Bezirken die Möglichkeit zu geben, Drogenkonsumräume
einzuführen. Drogenkonsumräume ermöglichen Akuthilfe bei einer
lebensgefährlichen Überdosis, tragen zur Vermeidung von Infektionskrankheiten
durch unhygienische Bedingungen beim Konsum bei und sind eine wichtige
Möglichkeit, suchtkranke Menschen an weiterführende Hilfsangebote zu vermitteln.
Drogenkonsumräume sind damit eine wichtige Ergänzung zu Suchtberatungsstellen.
Zudem muss der Einsatz des Heroinsubstitutionsmittels Methadon über intravenöse
Verabreichung ausgebaut werden.

Außerdem fordern wir ein absolutes Werbeverbot für Tabakwaren, nikotinhaltige
und alkoholische Produkte in allen Medien, um den schädlichen Gebrauch dieser
Drogen – gerade für junge Menschen- nicht mehr positiv darzustellen.



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