21. Oktober 2018

Ein Gespenst für Europa – die europäische Republik als linke Antwort auf den Rechtsruck



Zusammenfassung:

Europa ist und bleibt in der Krise. Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert verschieden Maßnahmen in der Migrationpolitik ( zB sichere Fluchtwege), Sozialpolitik (zB eine euopäische Sozialversicherung) und der Wirtschaftspolitik (z.B. Verbot von Menschenrechtsverletzung in Lieferketten). Der Antrag hat vor allem das Ziel dadurch eine europäische Republik zu schaffen.

 

Beschluss:

Die EU und Europa scheinen von einer Krise in die nächste zu rutschen. Schuldenkrise, Finanzmarktkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, Griechenlandkrise, Ukrainekrise, Terrorkrise, Humanitätskrise, Rechtsruckkrise. Doch sind das alles wirklich Krisen? Vielmehr liegt die allen zugrunde liegende Krise doch in der Beschaffenheit der EU. Diese kommt als technokratischer, bürger*innenferner und undemokratischer Bürokratiekolloss daher. Die Krisenhaftigkeit der EU, so müssen wir heute feststellen, liegt an der institutionellen Trilogie aus Europäischem Rat, Parlament und EU-Kommission, die allesamt zu unserer aller Unzufriedenheit mit den Herausforderungen der letzten Jahre umgehen. Es ist also vor Allem eine Demokratiekrise, die der EU und Europa die progressive Kraft nimmt. Die Herausforderung ist es, diese strukturellen Mängel zu beseitigen und die EU radikal zu reformieren. Hierfür stellt sich die GRÜNE JUGEND Niedersachsen hinter die Idee einer europäischen Republik. Nur so kann auch die Idee eines Europa der Regionen statt der Nationalstaaten erfolgreich umgesetzt werden.

Als Sofortmaßnahmen gegen die Demokratiekrise der EU fordert die GRÜNE JUGEND Niedersachsen eine Reform der Europäischen Kommission sowie die gleichzeitige Stärkung des Europäischen Parlaments durch die Schaffung des Initiativrechts. Das Parlament muss das Herzstück der europäischen Demokratie werden und muss daher die Möglichkeit haben, selbst Gesetzesinitativen einzubringen.

 

Ferris not Frontex – für ein weltoffenes und menschenwürdiges Europa

Wer EU-Bürger*in ist, der*die hat die Möglichkeit sich in allen Mitgliedstaaten Arbeit zu suchen, ein Zuhause aufzubauen und kann sich ohne Beschränkungen in der EU bewegen. Menschen, die fliehen und laut Pass keine Bürger*innen der EU sind haben keine Möglichkeit in angemessenen Verfahren in den EU-Ländern aufgenommen zu werden. Vor allem ihre Flucht ist unsicher und gefährlich. Besonders, weil die EU die Flucht gefährlich macht. Durch den politischen Willen der EU-Politiker*innen gelangen „Entwicklungsgelder“ in (Nord-)Afrikanische Länder wie Niger, Marokko und Libyen, die genutzt werden, um fliehende Menschen aufzuhalten, zu misshandeln oder zu töten. Die EU ist hierfür direkt mitverantwortlich. Zusätzlich gibt es internationale Seerechtsabkommen und einfache moralische Grundsätze der EU, die die Rettung von fliehenden Menschen auf dem Mittelmeer voraussetzen. Allein, weil jeder Mensch das Recht auf Leben und andere Menschenrechte hat, müsste die EU im Mittelmeer Rettungsaktionen durchführen, die genau dieses Recht schützen. Diese Rettungsaktionen gibt es aber nicht. Im Gegenteil, Initiativen, die sich bereit erklären Menschen zu retten, kommen vor Gericht, weil sie Menschenleben retten. Ihnen wird verboten weiterhin die Pflichten zu erfüllen, die die EU nicht leisten kann, nämlich Menschen vor dem Tod zu bewahren. Die EU hat durch ihren Umgang mit Migration vollkommen versagt in der Wahrung ihrer Werte.

Dem setzen wir unsere Forderungen für ein humanitäres und weltoffenes Europa entgegen.

  • Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert die Abschaffung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und ein Ende des Sterbens an den europäischen Außengrenzen.
  • Wir fordern auch die strukturelle Abschaffung der europäischen
    Binnengrenzen und ein Ende der tödlichen Abschottungspolitik.
  • Dazu braucht es auch sichere Fluchtwege! Die EU muss
    Seenotrettungsaktionen neu ins Leben rufen. Außerdem muss sie sichere Fluchtkorridore schaffen, die es allen Menschen in der gesamten EU ermöglicht Asyl zu finden. Ein solidarisches Europa muss für alle Menschen da sein und kann sich nur als antifaschistisches und antirassistisches Europa verstehen.

 

2019 wird eine Richtungsentscheidung

Die Europaparlamentswahl 2019 wird voraussichtlich die erste Wahl nach dem Brexit, dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU sein. Der Erfolg von Rechtspopulist*innen in Europa nimmt eine unvergleichliche Dimension an. Überall in Europa sind rechte Parteien so stark wie nie. In Österreich regiert die rechtsextreme FPÖ zusammen mit der konservativen ÖVP, in Italien hetzt der Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini, Mitglied der rechtsextremen Partei Lega, gegen Geflüchtete und verhindert aktiv deren Rettung. In Polen regiert die PiS-Partei antifeministisch und reaktionär durch und verhängt hohe Strafen auf Abtreibungen. In Frankreich und Deutschland nehmen antisemitische und fremdenfeindliche Übergriffe zu, die Gewalt gegen Migrant*innen und LSBTIQA*-Personen steigt. Autoritäre Regime wie die Regierung von Victor Orban in Ungarn werden von der CSU hofiert, die CDU in Sachsen schließt eine Koalition mit der AfD nicht mehr aus. Wird auch im Europaparlament der autoritäre Schulterschluss der Rechtsextremen mit den Konservativen seinen Lauf nehmen oder schaffen wir es, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen? Die reaktionäre Konterrevolution von rechts scheint jedenfalls vielerorts schon vollzogen.

Wir müssen an neuen linken Bündnissen und Mehrheiten arbeiten, um diesem Rechtsruck Einhalt zu gebieten. Unsere Vision eines republikanisch organisierten und demokratischen Europas kann diesem linken Gegenentwurf einige konkrete Ideen schon jetzt beifügen.

 

Europa muss Sozialunion statt Wirtschaftsunion sein

Ein Europa ohne Populismus kann nur ein soziales Europa sein und andersrum. Um sich als EU-Bürger*in zu identifizieren braucht es eine gemeinsame sozialpolitische Linie, die allen Menschen gleiche Ausgangmöglichkeiten ermöglicht. Dafür braucht es mehr Solidarität in Europa! Europa darf keine neoliberale Wirtschaftsunion sein, sondern muss Sozialunion werden, denn der Neoliberalismus bereitet dem Rechtsruck seinen Weg.

Als sozialpolitische Antwort auf die prekäre Lebenssituation vieler Millionen Menschen in Europa fordern wir folgende Maßnahmen:

  • Es braucht eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik, die nicht nur Freizügigkeit in den Vordergrund stellt, sondern die soziale Sicherung. Aus diesem Grunde braucht es eine europäische Sozialversicherung, die Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld abdeckt und für gleiche Grundvoraussetzungen sorgt
  • Ebenso müssen Krankenversicherung und weitere gesundheitspolitischen Regelungen auf EU-Ebene reguliert werden. Diese muss eine kostenfreie Grundversorgung für alle Menschen beinhalten.
  • Ebenso fordern wir einen einheitlichen europäischen Mindestlohn.
  • Alle Menschen müssen für die gleiche Arbeit gleich viel verdienen, dass Frauen weniger verdienen können wir nicht dulden. Auch klassische Pflegeberufe, die öfter von Frauen ausgeübt werden, werden schlecht entlohnt. An dieser Stelle braucht es eine Aufwertung der Care-Arbeit.

 

Wer ein gerechtes Europa will, muss sich mit dem Kapitalismus anlegen

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt den Handelsbedingungen aufzustellen und einen freien Handel zu ermöglichen. Ganz offensichtlich hat sie es jedoch nicht geschafft, solche Abkommen zu beschließen, die angemessene Verbraucherschutzstandards erfüllen. Viele Bürger*innen gingen deshalb auf die Straße, um gegen bestimmte Abkommen zu demonstrieren. In Sachen Verbraucherschutz schlägt sich die EU generell häufig auf die Seite der Unternehmen, auch wenn sie dafür keine guten Argumente hat. Das wird deutlich an der Erlaubnis das Pestizid Glyphosat zu verwenden, die Entscheidung ist schwer nachvollziehbar, da unabhängige Studien das Gegenteil der EU-Sicht abbilden. Die EU darf keine Institution sein, die wirtschaftlichen Akteur*innen freie Hand gewährt, während sie im Sinne der Wachstumslogik die Erde über alle ökologischen Grenzen ausbeuten. Klimaschädliche Wirtschaftspraktiken müssen Konsequenzen nach sich ziehen, schließlich tragen alle Menschen die Kosten, die solch eine kapitalistische Wirtschaftsweise verursacht. Weiterhin muss die EU mehr Verantwortung übernehmen im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen. Firmen dürfen keine Menschrechtsverletzungen begehen oder zulassen, die EU muss
dafür sorgen, dass sie diesem Anspruch gerecht werden.

Die Wirtschaft muss im Sinne menschlicher Bedürfnisse stehen, nicht im Sinne kapitalistischer Verwertungslogik. Um das durchzusetzen braucht es eine EU, die den enthemmte Kapitalismus Solidarität und Menschenrechte entgegensetzt. Deutschland muss zeitnah seinen Exportüberschuss abbauen und die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen EU-Staaten, insbesondere Frankreich, ausgleichen. Die EU-Staaten sollten weniger als Konkurrenzstandort, sondern als Freunde und Verbündete wahrgenommen werden. Dem Irrglauben, Deutschland müsse als Exportweltmeister glänzen, stellen wir uns entschieden entgegen.

 

Europa ist noch nicht ganz am Ende

In der EU wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, ob wir in ein finsteres Jahrzehnt der neoliberal geprägten Hegemonie gehen, die durch die ideologischen Versatzstücke der rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen ideologisch abgesichert wird, oder ob wir durch eine radikale Veränderung der bisherigen Politik der EU, verbunden mit der Forderung nach einer vertraglichen Neugründung der EU in Form einer europäischen Republik, Spielräume für linke Veränderungen eröffnen und eine internationalistisch ausgerichtete, solidarische Politik durchsetzen können.

Hier wird die Europawahl 2019 zur grundlegenden Richtungsentscheidung. Es braucht ein ökologisches, offenes und solidarisches Europa. Statt Ökonomisierung fordern wir Solidarisierung, statt Autokratisierung fordern wir Demokratisierung, statt Abschottung fordern wir offene Grenzen. Statt Verwaltung der Vergangenheit fordern wir Europa auf, die Zukunft zu gestalten, denn es ist die Zukunft der europäischen Jugend, unsere Zukunft!



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