23. Februar 2015

Bericht vom Gendertag (14.02.2015)



Am Samstag, dem 14.2., fand der erste Gendertag der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen statt. Bei dieser eintägigen Veranstaltung ging es uns darum, ein Forum für alle Mitglieder und Interessierte zu schaffen, sich abseits der Gendertreffen auf Landesmitgliederversammlungen mit diesem Themenbereich zu beschäftigen. Dieser Text ist ein kurzer Bericht über den Inhalt dieses sehr erfolgreichen Experiments:

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Workshop zu sexueller Gewalt an Frauen* mit Behinderung mit Katrin Langensiepen

Der erste Workshop des Tages wurde durch Katrin Langensiepen, Sprecherin der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Soziales, geleitet. Sie führte zu Beginn in die Bielefelder Studie zu sexueller Gewalt an Frauen* mit Behinderung ein. In dieser wurden Frauen* mit Behinderung sowohl in Einrichtungen als auch in Haushalten zu ihren (sexualisierten) Gewalterfahrungen befragt. Hier wurde deutlich, wie selten insbesondere Frauen* in Einrichtungen ihre Rechte auf Privatsphäre und körperliche Unversehrtheit verwirklichen können. Da eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung selten erreicht wird und Werkstätten oft weit außerhalb der Ballungsräume angesiedelt sind, ergeben sich zwangsläufig starke Abhängigkeitsverhältnisse zu Pflegekräften. Dass dieser Umstand häufig für sexuelle Übergriffe ausgenutzt wird, geht aus der Studie deutlich hervor. Doch nicht nur Pflegekräfte vergreifen sich an Frauen*: auch von Zimmernachbarn und in Beziehungen ist sexuelle Gewalt an der Tagesordnung.

Besonders erschreckend fanden die Workshopteilnehmer*innen die Art, wie Vergewaltigungen durch das Umfeld der Betroffenen häufig kleingeredet oder sogar gerechtfertigt werden. Hier wurde deutlich, dass von Gewalt betroffene Frauen* mit Behinderung nicht mit der gesellschaftlichen Unterstützung rechnen können, die sie bräuchten. Dies gilt auch auf institutioneller Ebene. Frauenhäuser sind oft nicht barrierefrei erreichbar, SMS-Notrufe für gehörlose Menschen und Gebärdensprache in den Polizeiwachen sind Zukunftsmusik, sexuelle Aufklärung und Selbstverteidigungskurse für Frauen* mit Behinderung sind nicht flächendeckend vorhanden und eine wirkliche Fehlerkultur in den Einrichtungen existiert nicht. Diese Punkte sowie von sexueller Gewalt unabhängige Diskriminierungen (wie etwa das fehlende Wahlrecht für Menschen in Vollbetreuung) sind im Anschluss ausgiebig diskutiert worden und sollen in Zukunft zu besser ausgearbeiteten Forderungen der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen im Inklusionsbereich führen.

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Workshop zu Intersektionalität mit Leonie Mainx

Im zweiten Workshop des Tages wurde das Thema von Mehrfachdiskriminierungen zunächst auf eine stärker theoretische Ebene gebracht. Leonie Mainx aus dem Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND erklärte das dazu passende Konzept der Intersektionalität. Hinter diesem vielen der Teilnehmenden noch unbekannten Begriff verbirgt sich der Gedanke, verschiedene Diskriminierungsformen nicht einfach als sich addierende gesellschaftliche Benachteiligungen zu begreifen, sondern ihre Schnittpunkte (engl. „Intersections“) zu untersuchen. Um diese abstrakte Idee konkreter zu machen, erklärte Leonie den Ursprung des Begriffs in der Black Feminists-Bewegung. Schwarze Frauen* fühlten sich besonders zu Beginn der Bürgerrechts- und Feminismusbewegungen in den USA in beiden Bewegungen nur unzureichend repräsentiert, da immer nur auf die Diskriminierung von Frauen oder von Schwarzen Menschen, aber selten auf die spezifische Diskriminierung Schwarzer Frauen* eingegangen wurde. Intersektionalität versucht, ein differenzierteres Bild gesellschaftlicher Machtverhältnisse in Bezug auf das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen zu ermöglichen.

Die Workshopteilnehmer*innen fanden diesen Ansatz durchweg sehr richtig, waren sich aber darüber uneinig, ob Wechselwirkungen für alle Diskriminierungsformen gefunden werden können, oder nur bei manchen Formen Schnittmengen gefunden werden können. Ebenfalls kontrovers diskutiert wurde die Frage, wie Intersektionalität in konkreten Gesetzen Anwendung finden kann. Beispielsweise ist unklar geblieben, ob etwa neben Beschäftigungsquoten von Menschen mit Behinderung und Frauenquoten spezifische Quoten für Frauen* mit Behinderung sinnvoll sind, oder ob derart ausdifferenzierte Systeme zu einer schlechten praktischen Umsetzbarkeit führen würden. Ein weiterer Diskussionspunkt war die politische Unterstützung anonymisierter Bewerbungen. Diese würden auf der einen Seite gegen Vorurteile in der ersten Bearbeitung der Bewerbungsunterlagen führen, auf der anderen Seite jedoch auch Quoten unmöglich machen. Unklar ist außerdem, ob Diskriminierungen in persönlichen Bewerbungsgesprächen den positiven Effekt anonymisierter Bewerbungsunterlagen zunichtemachen könnten. Auch hier kamen die Diskussionsteilnehmer*innen nicht zu einer einheitlichen Meinung.

Für den letzten Workshop hatten wir Lara Bochmann, ehemalige Frauen- und Genderpolitische Sprecherin der GRÜNEN JUGEND im Bundesvorstand zu Gast. Sie erzählte uns über Rape Culture. Dies ist ein Bündel von Überzeugungen, das männliche sexuelle Aggression fördert und sexualisierte Bemerkungen, Berührungen, Belästigung bis hin zu Vergewaltigungen gegen Frauen* als Norm, als unvermeidlich darstellt (Definition nach Melissa McEwan). Rape Culture findet sich überall in der Gesellschaft. Ob Filme, politische Diskussionen oder mediale Berichte: Sexuelle Gewalt und die dahinter liegenden Machtverhältnisse wird vielfach verharmlost oder geleugnet.

Dies kann zu Schuldumkehrungen bei Vergewaltigungen führen, wobei bei den Betroffenen Menschen die Schuld für die Tat gesucht wird. Anschuldigungen wie sie hätten zu kurze Kleidung getragen, sie wären zu aufreizend gewesen oder sie hätten weniger Alkohol trinken sollen und hätten damit eine Mitschuld an der Tat, sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet und fließen in Werbung und Mediendarstellungen ein. Um den Workshop nicht zu negativ enden zu lassen, informierten wir uns am Ende über feministische Bewegungen, die sich gegen Rape culture, gegen Entsolidarisierung mit den Betroffenen und die Normalisierung von sexualisierter Gewalt einsetzen.

Das Format des Gendertags bekam von den ca. 15-20 Teilnehmenden durchweg gutes Feedback. Wir freuen uns auf den nächsten derartigen Workshoptag mit euch!



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