26. September 2010

Kein ruhiges Hinterland für Nazis und Rassist_Innen!



Eine Dorfgemeinde feiert ein Fest gegen Nazis, um sich gegen Faschist_Innen in ihrer Stadt zu stellen. Ein bekannter, aber etablierter Neonazi verkauft auf diesem Fest die Würstchen. Einige Kilometer weiter: Ein Grüner Wahlkampfstand muss unter Polizeischutz aufgestellt werden, weil sich keine Partei aufgrund einer etablierten und erstarkten Rechten mehr traut, alleine auf dem Marktplatz zu stehen. Er bleibt, neben dem NPD-Wahlkampfstand auch der einzige, der auf dem Marktplatz stehen wird.

Einige Kilometer weiter: Eine Razzia lässt einen dorfbekannten Naziring hochgehen. Es werden Waffen konfisziert, die Jugendlichen werden festgenommen. „Überzogen“, sagt ein Dorfbewohner als Reaktion der Presse. Das Dorf zieht keine Konsequenzen.

Einige Kilometer weiter: Ein ‚Interessensgemeinschaft junger Leute‘, die sich für das Wohl und die Interessen ihrer Heimat einsetzen, treten mit offenen, neonazistischen Tattoos, Slogans und Kleidung im Dorfbild auf. Sie nehmen an allen Veranstaltungen und Festen teil und versuchen sich auf diese Weise im Dorf zu etablieren. (…)

Diese und ähnliche Ereignisse passieren bei uns um die Ecke. Nicht nur weit weg, sondern vor unserer Haustür versuchen Nazis Fuß zu fassen und sich zu etablieren. Und gerade Dorfgemeinschaften sehen sich solchen Entwicklungen teilweise hilflos ausgesetzt. Antifaschismus auf dem Dorf – wo wenig anonym passiert, jede_R Nachbar_In eine_N kennt – bedarf besonderem Mut und besonderer Unterstützung. Deshalb wollen wir, die GRÜNE JUGEND Niedersachsen, uns offen an die Seite progressiver, politischer Gruppen stellen, die sich der Etablierung rechten Gedankenguts in ihrem Dort, in ihrem Kreis, ihrer Region aber auch ihrer Stadt entgegenstellen.

(K)Ein ruhiges Hinterland

Im Vergleich zu antifaschistischen Bewegungen in den Städten erschweren im ländlichen Raum einige Grundbedingungen die Bildung von starken, antifaschistischen Gruppen. So herrscht in etablierten Teilen von Dorfgemeinschaften eine tradierte Kultur von reaktionären Werten wie Rassismus, Homophobie, Sexismus und Antisemitismus vor, die das Aufzeigen und Erkennen von faschistoiden Gruppen innerhalb einer solchen Gemeinschaft erschwert und einen Nährboden für solche darstellen kann. Seit Jahren machen sich organisierte Neonazis die traditionelle Sozialstruktur und ihre Institutionen in Niedersachsens Dörfern und Gemeinden der ländlichen Gegenden gezielt zu Nutze und suchen hier ihre Nester auf dem Rückzug vor antifaschistischem Engagement in den Städten. Kameradschaften, Autonome Nationalist_Innen aber immer wieder auch den Anschein von Bürgerlichkeit wahrende parteipolitisch organisierte Nazis aus NPD und DVU finden im ländlichen Raum leider oft genug ein ruhiges Hinterland, von dem aus sie agieren und ihre menschenverachtende Propaganda unter die Bevölkerung mischen können.

Strategien erkennen und enttarnen

Sie verfolgen dabei unterschiedliche Strategien: manche nutzen nur ein Klima des Desinteresses, um wenigstens an ihrem Wohnort in Ruhe gelassen zu werden oder aber auch um sich eine Lebenswelt mit einer faschistoiden Subkultur zu etablieren, das nach und nach zuzieht. So ist bspw. Bad Lauterberg im Vorharz mittlerweile mit einer festen Infrastruktur einer sich etablierenden neofaschistischen Subkultur durchzogen. Die organisierten Neonazis machen sich hier den fehlenden Widerstand zu nutze, um sich frei entfalten zu können. Im ländlichen Raum kann dabei oft genug auf private Infrastruktur und Vermögen zugegriffen werden, um auch überregionale Events für die Neonaziszene zu organisieren, wie etwa auf dem Hof Nartz in Eschede bei Celle auf dem zwei mal jährlich eine völkische Sonnenwendfeier mit Feuer stattfindet. Auf der anderen Seite versuchen Nazis auch immer wieder an die etablierten Strukturen im ländlichen Raum anzudocken und sie zu unterwandern, um ihr menschenverachtendes Weltbild subversiv in der Mehrheitsgesellschaft zu etablieren. „Kampf um die Köpfe“ nennt das die NPD in ihren Leitlinien für politisches Handeln für Mitglieder und empfiehlt diesen explizit, nicht anzuecken, sondern sich in die gängigen Strukturen zu integrieren, um das eigene faschistische Bild von innen in die Gruppen bringen zu können. Plötzlich stört es nicht mehr, wenn der Fußballtrainer oder der Kollege bei der freiwilligen Feierwehr ein Nazi ist – er war ja immer voll integriert. Viel zu oft funktioniert diese Taktik der organisierten Nazis.

Kein Fußbreit den Nazis – nicht hier und nirgendwo

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen sagt der Unterwanderung des ländlichen Raums durch Nazis und Rassist_Innen den Kampf an! Es gibt kein ruhiges Hinterland für Nazis! Überall wo sie und ihre Organisationen versuchen sich zu etablieren werden wir uns ihnen entschieden und entschlossen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenstellen! Dazu entwickeln wir ein Konzept, wie der planvollen faschistischen Subversion im Hinterland mit geballten Kräften aus Stadt und Land wirkungsmächtig entgegengewirkt werden kann.

1. All together now – Bündnisse organisieren, gemeinsam stark sein

Wir wollen uns für große, gesellschaftsübergreifende Bündnisse einsetzen, die es ermöglichen, den Nazis in keinem Dorf, keinem Kreis und keiner Region Niedersachsens mehr Raum für ihre Menschen verachtende Propaganda lässt. Hierbei überwinden wir auch politische Differenzen mit anderen Organisationen, denn uns eint ein gemeinsames Ziel: Unser Kampf gilt der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dem Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und der Homophobie sowie dem Autoritarismus. Deshalb beteiligen wir uns an keinen Bündnissen, die „gegen jeden Extremismus“ angelegt sind und die versuchen rechts und links ideologisch gleichzusetzen. Im Zweifel können wir auf die konservativen Gruppen in den Bündnissen gegen Rechts getrost verzichten, wenn diese anscheinend nicht entschlossen gegen Neofaschismus vorgehen wollen. Unsere Ausgangshaltung ist klar: Wir wollen zusammen gegen Faschismus im Hinterland kämpfen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln

2. Das Schweigen brechen, die kulturelle Hegemonie erschüttern.

Nazis können in ländlichen Milieus oft untertauchen, weil die politische Kultur ihnen in Teilen Nährboden dafür bietet. Oft genug wird rassistischen und sexistischen Aussagen nicht widersprochen. Sie werden als ’normal‘ hingenommen und es entsteht der Eindruck, die Mehrheit teilt einen sexistischen und/oder rassistischen Konsens. Oft genug muss dies allerdings nicht der Fall sein – im Gegenteil könnte durch Offenlegen solcher Strukturen ein umdenken erreicht werden. Deswegen betrachten wir es als ersten Ansatz antifaschistischer Arbeit im ländlichen Raum, den öffentlichen und privaten Diskurs überall dort zu beeinflussen, wo Einstellungen vertreten oder unbesonnen geäußert werden, die anschlussfähig für das faschistische Weltbild sind. Dazu gehört es sowohl im Privaten und sozialen Umfeld solche Äußerungen zu entlarven, als auch im öffentlichen Raum unterschwelliges und offenes homophobes, rassistisches, autoritäres oder rassistisches Agieren offensiv inhaltlich anzugreifen. Eine wesentliche Grundlage ist dabei unsere Arbeit „gegen den alltäglichen Rassismus“ (vergl. Beschluss aus Gifhorn).

3. Aufklärung und Bildung, für eine mündige Erinnerungskultur

Nur wer informiert und aufgeklärt ist, kann die Ereignisse vor der eigenen Haustür einordnen und und mit ihnen umgehen. Das gilt besonders auch für die subversive Eroberung ländlicher Räume durch Nazis. Nur wer über neofaschistische Strukturen und Organisationen und ihr Weltbild aufgeklärt ist, wird die Notwendigkeit des Engagements gegen Rechts erkennen können – bevor der Nazi zum Kumpel im Sportverein geworden ist.

Deswegen muss neben dem staatlich institutionalisierten Bildungsangebot der Schule besonders im ländlichen Raum eine Kultur der zivilgesellschaftlichen Bildung etabliert werden, die sowohl über das nazistische Weltbild als auch über die Organisationen und Gruppen der neofaschistischen Szene aufklärt und zugleich eine mündige Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Hintergrund des Nationalsozialismus herstellt. Gerade letzteres lässt sich kommunal sehr gut Umsetzen, wenn sich eine ländliche Gemeinde im öffentlichen Diskurs rückhaltlos mit der eigenen Geschichte „des Dorfes“ während des Nationalsozialismus auseinander setzt. Wir setzen uns daher für die Schaffung von historischen Gedenk- und Mahnorten ein, die eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus befördern. Gleichzeitig kann auch hier der subversiv nazistischen Hegemonie, die hier als Kontinuität des Faschismus auftritt widersprochen werden, wenn angemahnt wird, dass die Gedenkkultur keine rein deutsche sein darf. Beispielhaft für eine solche Auseinandersetzung ist die Auseinandersetzung um ein Mahnmal in Großburgwedel, wo sich verschiedene Bürger_Innen aber auch politische Gruppen – darunter auch die GJN – bisher erfolgreich gegen das Gedenken an fünf Angehörige der Waffen-SS zur Wehr gesetzt haben. Wenn auf dem Dorffriedhof in Zukunft nicht mehr nur das gängige Mahnmal für die gefallenen deutschen Wehrmachtsoldaten steht, sondern auch endlich den deportierten und anderweitig unterdrückten und verfolgten Opfern des Nationalsozialismus gedacht wird, dann ist viel für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und die Sensibilisierung für die neofaschistische Gefahr im öffentlichen Raum gewonnen.

4. Im ländlichen Raum präsent sein – Antifaschistische (Gegen-)Kultur etablieren

Politik, gerade antifaschistische, muss nicht immer trocken und langweilig sein. Gerade im ländlichen Raum kann es ein besserer Zugang zu vielen Leuten sein, wenn wir sie versuchen über eine antifaschistische Kulturarbeit zu gewinnen und Freizeitangebote zu schaffen. Dabei kann der Konsens, dass alle gegen Nazis sind gut genutzt werden, in dem z. B. „Rock gegen Nazis“ Konzerte veranstaltet oder Aktionen im öffentlichen Raum wie z. B. „Deine Hand gegen Nazis“ abgehalten werden. Aber auch die Etablierung einer klaren antifaschistischen Grundhaltung in der gängigen Alltagskultur trägt zur allgemeinen Ächtung von Faschistischen Strukturen bei, wenn z.B. die_der Bürgermeister_In bei ihren_seinen Grußworten das Thema immer wieder aufgreift. Vor allem aber muss eine antifaschistische Bewegung im ländlichen Raum sichtbar sein. Kundgebungen und Demonstrationen sowie Plakate im öffentlichen Raum, auch wenn gerade keine Nazis aufmarschieren, unterstreichen den Widerstand, auf den Faschist_Innen stoßen, wenn sie versuchen wollen den ländlichen Raum zu gewinnen. Zudem könnte es eine reizvolle Herausforderung sein, einen linken Jugendtreff vor Ort zu etablieren oder alternative Freizeitangebote für junge Menschen anzubieten.

Für die GRÜNE JUGEND Niedersachsen bedeutet es aber vor allen Dingen auch, sich den ländlichen Raum für Mitglieder zu erschließen. Das bedeutet, Strategien zu entwickeln und eine Infrastruktur zu fordern, die es Jugendlichen auch im ländlichen Raum ermöglichen, Politisch aktiv zu werden.

5. Kein netter Nazi von nebenan! Faschist_Innen enttarnen, antifaschistische Recherche nutzen und stärken!

Darüber hinaus bedeutet „Kein Fußbreit dem Faschismus“ auch, Nazis direkt entgegenzutreten und zwar nicht erst, wenn sie durch ihr Handeln selbst als solche aufgetreten sind, etwa weil sie alternative Jugendliche oder Migrant_Innen angegriffen haben. Nazis haben Namen und Adressen! Es gibt eine etablierte und gut funktionierende antifaschistische Recherchearbeit, deren Ergebnisse wir nutzen wollen um Nazis im ländlichen Raum ausfindig zu machen und sie dort öffentlich zu enttarnen – gleichzeitig wollen wir durch unsere Beobachtungen in den Dörfern die Recherche mit befördern. Die Nachbarschaft muss wissen, wer im Haus nebenan wohnt. Ziel ist es dabei, Nazis aus der dörflichen Gemeinschaft zu isolieren, bevor sie sich als anerkannte Bürger_innen in den gängigen Institutionen etabliert haben. Wenn bekannt ist, dass jemand ein Nazi ist, wird es schwierig zu rechtfertigen sein, warum sie_er wie jede_r andere im Sportverein, der Feuerwehr oder dem Chor mitwirken soll. Nazis kein ruhiges Hinterland zu überlassen bedeutet auch, sie dort aufzuspüren und ihnen keine Ruhe zu lassen.

Wir werden Nazis keinen Raum lassen und ihnen entschlossen entgegentreten – auch auf dem Dorf! Dabei sind unsere Kapazitäten als Jugendverband mit bislang eher geringer Präsenz im ländlichen Raum begrenzt. Wir werden daher versuchen, auf den ländlichen Raum einzuwirken und eigene sowie verbündete, antifaschistische Initiativen zu unterstützen. Da wo Nazis auftreten wird ihnen unser Widerstand entgegenschlagen. Ihr Rückzug ins Ländliche wird ihnen nichts nutzen: Es gibt kein ruhiges Hinterland für Nazis und Rassist_innen!

Kein Fußbreit dem Faschismus!



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