25. September 2006

Projekt „Mach dir deine Schule“. Verschoben.



Unterrichtsbeginn um Neun. Ein jahrgangsübergreifender Darstellendes Spiel-Kurs mit eigenem Probetag. Abschaffung von Sitzen bleiben, Noten, Klassenarbeiten und Hausaufgaben. Das Konzept dazu – erdacht von der SchülerInnenvertretung. All das wäre möglich in selbstständigen, eigenverantwortlichen Schulen. Warum trotz geändertem Schulgesetz vieles beim Alten bleibt, erklärt Ole Hilbrich.

Das Ziel: Aufbruch nach Skandinavien

e werden gepriesen als Erfolgsmodell aus dem Norden und sowohl von machthungrigen SchulleiterInnen als auch veränderungswilligen SchülerInnenvertretungen erträumt: Schulen, die in Eigenregie Wege zu festgelegten Bildungsstandards erarbeiten und dabei als Minidemokratie das Engagement von SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen und MitarbeiterInnen wecken. „Eigenverantwortlich“ heißen diese Schulen in Niedersachsen auf Wunsch der derzeitigen CDU/FDP-Regierung. Beschlossen wurden Änderungen am Schulgesetz im Juli 2006 und los gehen wird es an den Schulen zu Beginn des nächsten Schuljahres. Ob die Veränderungen allerdings in die beschriebene Richtung gehen, wird nicht nur von der LehrerInnengewerkschaft GEW, sondern auch von kritischen GRÜNEN trotz Zustimmung durch die Fraktion im Landtag, bezweifelt.

Der Streit: Gesamtkonferenz als Bildungsparlament oder Schulen als Unternehmen

Einer der Hauptstreitpunkte im Gesetzgebungsverfahren bezog sich auf die zukünftigen EntscheidungsträgerInnen innerhalb der Schule. Soll die bisherige, meist von LehrerInnen dominierte Gesamtkonferenz, zu einem Bildungsparlament ausgebaut werden oder brauchen Schulen viel mehr eine starke Führung und effiziente Entscheidungsstrukturen? Progressive Stimmen wollen die Chance zur Demokratisierung nutzen, um die an der Schule arbeitenden und lebenden Menschen mit ihrer Kompetenz einzubeziehen und ihnen die eigene Gestaltung ihrer Lebensumwelt zu ermöglichen. Konservative und Marktradikale halten solche Beteiligungsorgane für „Bürokratietiger“ und sprechen sich für ein professionelles Management durch Schulleitung und kleines Kontrollgremium aus. Die meisten LehrerInnen und SchülerInnen hätten gar keine Lust an den zeitintensiven Diskussionen teilzunehmen. In beiden Fällen stellt sich zusätzlich die Frage: Wie ernst meint die Landesregierung es mit neuen pädagogischen und organisatorischen Freiheiten für die Schulen? Worüber dürfen die EntscheiderInnen entscheiden?

Das Ergebnis: Mehr Beteiligung für weniger Menschen?

Das Ergebnis im neuen Schulgesetz erscheint als schlechter Kompromiss: Die Gesamtkonferenz, die nur an Schulen mit erweiterter SchülerInnen- und Elternmitbestimmung, als demokratisch bezeichnet werden kann, behält die entscheidende Stimme bei den meisten pädagogischen Entscheidungen. Wesentliche Befugnisse erhält allerdings auch ein Schulvorstand aus maximal 16 Mitgliedern mit immerhin jeweils 25 %tiger-SchülerInen und Elternbeteiligung und eine Schulleitung, die nun direkte Vorgesetzte der LehrerInnen ist. Problem hierbei: Neue Hierarchien innerhalb der Schule entstehen, die Ausweitung der SchülerInnenmitbestimmung an vielen Schulen im Vorstand verpufft, weil das „schlanke“ Gremium zu klein ist. Entscheidungen über Ganztagsbetrieb, Schulversuche und Schulhaushalt werden vielleicht „effizienter“ getroffen, dafür können einzelne Mitglieder des Vorstandes leichter manipuliert werden. Die Verankerung der Entscheidung bei allen Beteiligten in der Schule fehlt. Diese kann nur gewährleistet sein, wenn jede Gruppe von Menschen (z. B. jede Schulklasse) stimmberechtigte VertreterInnen entsendet, die Informationen und Diskussion in die Schule tragen und Identifizierung mit Entscheidungen ermöglichen. Auch die angekündigten Freiheiten traditionellen Unterricht durch neue Lerngruppen, epochale und fächerübergreifende Projekte ersetzen zu können und dabei auf Noten und Zeugnisse zu verzichten, finden bis jetzt nicht statt. Da der Landtag neue Regelungen nicht im Gesetz verankerte, ruhen Hoffnungen und Befürchtungen allein beim Kultusminister Busemann.

Die GRÜNEN: Zähneknirschende Komplizen mit zweifelhaften Erfolgen

Welche Rolle hat die grüne Landtagsfraktion im Gesetzgebungsprozess gespielt? „Opposition muss nicht immer nein sagen“ war das Motto der von Fraktionsexpertin Ina Korter geführten Verhandlungen, an deren Ende die Zustimmung zum Gesetz im Landtag stand. Zwar hat sich das Gesetz im Beratungsprozess mit Parteien, Gewerkschaften und Verbänden wie Eltern- und Schülerräten stark gewandelt, eine entscheidende Demokratisierung der Schulen wird aber kaum ermöglicht. Für viele LehrerInnen und in Schulen mit bereits jetzt erweiterter Mitbestimmung werden Beteiligungsmöglichkeiten sogar abgebaut. Das Zugeständnis von Grünen neue Freiheiten für Schulen durch Ministererlasse zu regeln, ermöglicht der Fraktion nur noch das Nichthandeln von Busemann zu kritisieren. Ohne neue Gestaltungsmöglichkeiten und ausreichend personelle und finanzielle Mittel gerät Eigenverantwortlichkeit zur Farce. Der errungene Erfolg, dass Eigenverantwortliche Schulen vom Land nicht nur überprüft, sondern auch unterstützt, werden sollen, wird, wie von der Fraktion selbst bemängelt, an Unterfinanzierung scheitern. Von der Landesregierung an der Nase herum geführt, stellt sich also die Frage, ob sich die Rolle der konstruktiven Opposition in Ergänzung zur fundamentalen Ablehnung durch SchülerInnenvertretungen und z. B. die GEW gelohnt hat. Hätte nicht deutlicher gemacht werden müssen, dass GRÜNE Ideale eigentlich anders aussehen?

Die Perspektive: SV-Kampf an den Schulen, endlich Demokratisierung nach der Landtagswahl 2008

Zum Glück ist der Einfluss von neuen Strukturen, durch gelebte Demokratie an Schulen ergänzbar: Sofern SchülerInnen und Eltern ihren Mitgestaltungsanspruch deutlich machen und dabei auf ein halbwegs progressives LehrerInnenkollegium stoßen, ist Mitbestimmung im und um den Schulvorstand nicht vollkommen unmöglich, schulinterne Diskussion nicht von vornherein ausgeschlossen. Die eigentliche Perspektive muss aber lauten: Eine neue Schulverfassung und wirkliche Eigenverantwortung für die Schulen muss immer noch her! Dafür sollten sich Landtagsgrüne weiter einsetzen und sich nicht nur bei nötigen Nachbesserungen von der letzten Schlacht ausruhen.
Ole Hilbrich, 20, macht seinen Zivildienst in einer Grundschule und ist schon seit Ewigkeiten in der GRÜNEN JUGEND Braunschweig aktiv.



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