28. November 2006

Der Skandal Armut



Die Armut in Deutschland wächst und die Klassengegensätze innerhalb der Gesellschaft nehmen zu, wie jüngst die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt hat. Sven-Christian Kindler berichtet in einer Sonderausgabe des SPUNKs zum Bundesparteitag der Grünen über die soziale Lage in Deutschland und erläutert, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen effektiv die Armut bekämpft.

Die harten Fakten zur gesellschaftlichen Lage in Deutschland sind erschreckend: Nach dem neusten Report des Statistischen Bundesamtes leben elf Millionen Menschen in Armut, fünf Millionen davon sind erwerbslos und versuchen mit dem ALG II zu überleben. Für die Betroffenen heißt das pro Tag mit 4,37 € Essensgeld, 1,27 € für Freizeitangebote, 0,69 € für den Nahverkehr und 0,00 € für Bildung auszukommen. Aktive Teilnahme an der Gesellschaft, gesunde Ernährung oder Weiterbildung scheint damit nur sehr schwer machbar, wenn nicht vollkommen unmöglich. Die Armut in Deutschland zeigt sich auch darin, dass Kinder aus sozial schwachen Familien hungrig in die Schulen kommen, nicht mit auf Klassenreisen fahren oder an Kinobesuchen und Kindergeburtstagen teilnehmen können. Arm sind ebenso Vollzeiterwerbstätige. FriseurInnen erhalten laut Tarif 3,30 € pro Stunde. Macht netto im Monat rund 360 €. Insgesamt drei Millionen Menschen in der Bundesrepublik verdienen mit ihrer Erwerbsarbeit so wenig, dass sie unter die Armutsgrenze fallen.

Bedingungslos sozial

Der deutsche Sozialstaat verhindert aktuell nicht die Armut, sondern trägt durch eine ungerechte Sozialpolitik zu Gunsten der Reichen massiv dazu bei. Die Hartz IV-Gesetzgebung hat – auch durch viele Verschärfungen der Union und der großen Koalition- dazu geführt, dass heute Millionen arbeitswillige Erwerbslose gegängelt und stigmatisiert werden und sie durch zu niedrige Leistungen zu einem Leben in Armut verdammt werden. Die GRÜNE JUGEND tritt deswegen für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein, um jedem Menschen die materielle Grundlage für ein Leben ohne Armut zu ermöglichen. Es muss folgende vier Kriterien erfüllen:
1. Das Grundeinkommen steht allen BürgerInnen individuell garantiert zu, da wir ein Leben ohne Armut und die Möglichkeit zur aktiven Partizipation an der Gesellschaft als unveräußerbares Menschenrecht ansehen.
2. Die Existenzsicherung und die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe ist garantiert. Deswegen muss das Grundeinkommen spürbar oberhalb der jetzigen ALG II-Leistungen liegen. Hiermit grenz sich die GRÜNE JUGEND klar von neoliberalen Grundeinkommensmodellen ab.
3. Auf eine Gegenleistung wird verzichtet. Menschen sind keine faulen SozialschmarotzerInnen, sondern wollen arbeiten, wie das große ehrenamtliche Engagement in Deutschland zeigt. Ein grüner Arbeitsbegriff muss mehr umfassen als reine Erwerbtätigkeit. Wenn ein junger Erwerbsloser eine Kindergruppe in einem Sportverein betreut oder eine allein stehende Rentnerin MigrantInnen ehrenamtlich Sprachunterricht gibt, ist das genauso gesellschaftlich wertvolle Arbeit.
4. Eine Bedürftigkeitsprüfung findet nicht statt. Die entwürdigende Drangsalierung von ALG II-EmpfängerInnen, die ihre gesamte Privatsphäre wildfremden Schnüfflern von der Arbeitsagentur offen legen müssen, ist menschenunwürdig und unsozial.

Deutschland ist reich genug

Bei der Finanzierung des Grundeinkommens können zunächst viele heute individuell ausgezahlte soziale Transferleitungen ersetzt werden, wie z. B. das ALG II, Kindergeld, Wohngeld oder Bafög. Der übrige Finanzbedarf sollte möglichst durch die Einkommenssteuer erbracht werden. Dabei muss im Sinne der Armen von „oben“ nach „unten“ umverteilt werden. Deswegen sind auch die Steuereinnahmen aus Vermögen, Erbschaften und Kapitaleinkommen zu erhöhen und zur Finanzierung heranzuziehen

Ganzheitliches Konzept zur Armutsbekämpfung

Das Grundeinkommen kann nicht das Allheilmittel sein, das urplötzlich auf einen Schlag die Armut in Deutschland beseitigt. Auch weiterhin werden Angebote für die Arbeitsvermittlung und Weiterqualifizierung benötigt und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur muss vorangetrieben werden. Der Bildungsbereich, das Gesundheitswesen oder der öffentliche Nahverkehr müssen sozial gerecht gestaltet werden, um für die Armen auch andere soziale Barrieren abzubauen. Nur ein ganzheitliches Konzept, in dem ein armutsfestes Grundeinkommen integriert ist, kann den Schwächsten in dieser Gesellschaft Hilfe und Schutz bieten. Ruth Dreifuss, die ehemalige Schweizer Bundespräsidentin, hat den Skandal Armut treffend beschrieben: „Armut beschämt nicht die betroffenen Menschen, Armut beschämt die Gesellschaft.“ Wie langen wollen wir uns noch schämen?
Sven-Christian Kindler (21), studiert BWL im dualen System, ist Schatzmeister der GRÜNEN JUGEND Niedersachsen, SPUNK-Redakteur und Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen.
Der Artikel erscheint im Extra-SPUNK, einer GRÜNE JUGEND Zeitung, zur Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen in Köln.



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