6. April 2008

Liebe legalisieren! Gegen Strafandrohung bei Inzest



Die Vermeidung von Inzest ist die Voraussetzung von Gesellschaftlichkeit insofern, dass sie die Bedingung ihrer Erhaltung und Entfaltung darstellt – dies will der vorliegende Antrag nicht in Frage stellen. Ihm geht es vielmehr darum, die Legitimation eines Strafgesetzes zu kritisieren, welches unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreift.

Mit Inzest wird zumeist sexueller Missbrauch in Verbindung gebracht. Doch die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, ist bereits durch andere Strafparagrafen geschützt. Das Inzestverbot nach Paragraf 173 StGB trifft dagegen auch Fälle echter Liebe. Hier gibt es keine Opfer, welche vor TäterInnen geschützt werden müssen.

Wie ein gesellschaftliches Tabu zum Strafgesetz wurde

Die natürliche Vermeidung von Inzest lässt sich auf den Westermarck-Effekt zurück führen: Empirische Untersuchungen belegen, dass Menschen eine Abneigung gegen sexuelle Kontakte mit jenen Personen empfinden, mit denen sie die ersten dreißig Monate ihres Lebens eng verbrachten. Dieses Verhalten lässt sich bei allen Primaten beobachten. Zum Inzest zwischen selbstbestimmten PartnerInnen kommt es daher in der Regel nur, wenn diese getrennt voneinander aufgewachsen sind.

Über Jahrtausende entwickelte sich die Abneigung gegen den Inzest zu einem gesellschaftlichen Tabu, welches heute als Gesetz mit Strafandrohung im deutschen Strafgesetzbuch verankert ist. Doch jede Strafnorm, das verlangt die Verfassung, bedarf einer sachlichen Rechtfertigung. Beim Inzest-Paragrafen wird die Strafandrohung lediglich mit dem Schutz eines traditionell von Werten und Normen geprägten Tabus gerechtfertigt.

Bis in die 90er Jahre hinein wurden in Deutschland homosexuelle Männer ebenfalls lediglich zum Schutz gesellschaftlicher Tabus ins Gefängnis gesperrt. Es wird Zeit, diesen brutalen Schutz gesellschaftlicher Tabus auch bei Geschwistern zu beenden.

Bewahrung der familiären Ordnung – Eine Paradoxie

Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 13. März 2008, dass die deutsche Gesetzgebung bezüglich des Paragrafen 173 StGB legitim sei und begründete dies unter anderem mit der „Bewahrung der familiären Ordnung“, die nötig sei, um die Familie als solche zu schützen. Dieses Urteil steht in der Tradition der BundesgesetzgeberInnen, die bereits 1973 den Paragrafen mit der Begründung weiter gelten ließen, dass die Norm „Ehe und Familie“ vor der „familienzerstörerischen Wirkung“ inzestuöser Beziehungen schützen solle.

Doch Inzest, das belegen zahlreiche Gutachten (u.a. des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, MPI), ist eher „die Folge problematischer Familienverhältnisse und nicht die Ursache“. Zudem erscheint es als fragwürdig, inwiefern die familiäre Ordnung bewahrt werden kann, wenn bei Verurteilungen entschieden wird, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, weil diese wegen ihrer inzestuösen Liebesbeziehung ins Gefängnis gehen müssen.

Schädigung der Gesellschaft – Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit?

Das Bundesverfassungsgericht entschied ebenfalls, dass das Inzestverbot ein Instrument zum Schutz der „Gesundheit der Bevölkerung“ sei, da es beim Inzest eine besondere Gefahr von Erbschäden gebe.

Inwiefern Inzest im gegenseitigen Einvernehmen der Gesellschaft schade, wurde jedoch bereits im napoleonischen Frankreich in Frage gestellt. Dort wird dieser seit 1810 nicht mehr unter Strafe gestellt. Den Anstoß hierzu lieferte die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in der französischen Revolution, in der es heißt: „Das Gesetz hat nur das Recht, solche Handlungen zu verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind.“

Dass der verschwindend geringe Prozentsatz von Inzest-Kindern ein Angriff auf die „Gesundheit der Bevölkerung“ darstelle, ist abwegig. Nach Schätzungen des Freiburger Max-Planck-Instituts machen zwar etwa zwei bis vier Prozent der Bevölkerung inzestuöse Erfahrungen, zu Verurteilungen aufgrund dieses Tatbestands kommt es in Deutschland jedoch weniger als zehn mal pro Jahr. Damit scheint das Argument, dass einvernehmlicher Inzest gravierende Auswirkungen mit gesellschaftsschädigender Folge habe, erst recht unbedeutend nichtigen Charakter zu besitzen.

„Eugenische Gesichtspunkte“ – Ein Verstoß gegen die Menschenwürde

Das Zurateziehen sogenannter „eugenischer Gesichtspunkte“, die die deutschen GesetzesgeberInnen schon 1973 insbesondere beim Geschwister-Inzest anführten, ist ein akuter Verstoß gegen die Menschenwürde.

Zwar steigt bei inzestuöser Fortpflanzung die Wahrscheinlichkeit, Krankheiten zu vererben, jedoch besteht dieses Risiko auch bei anderen Personen mit entsprechenden Erbanlagen.

Vor allem aber: Unser Grundgesetz verbietet ausdrücklich jegliche Benachteiligung und Diskriminierung von so genannten Behinderten, also auch von Menschen mit Erbgutschäden. Nach unserer Werteordnung gibt es kein „unwertes“ Leben. Wer Inzest mit der Begründung unter Strafe stellt, die Zeugung behinderter Kinder müsse gezielt verhindert werden, begibt sich gefährlich nah an die NS-Ideologie heran.

Ein sich als demokratisch und sozial bezeichnender Staat darf weder einem Paar die Fortpflanzung verbieten, noch den gesunden Menschen über das eventuell entstehende kranke Leben stellen.

Außerdem: §173 StGB stellt auch den geschützten Geschlechtsverkehr oder den Geschlechtsverkehr nachweislich zeugungsunfähiger Personen ausdrücklich unter Strafe. Selbst wenn also nicht einmal die Möglichkeit der Zeugung von Kindern besteht, droht eine Gefängnisstrafe. Dies zeigt, dass die Begründung für die Strafnorm in sich selbst widersprüchlich ist.

Verbot von Sexualität – Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte

Im Frühjahr 2008 argumentierte die Mehrheit der BundesverfassungsrichterInnen, dass lediglich der „Vollzug des Beischlafs“ zwischen leiblichen Verwandten und damit „ein eng umgrenztes Verhalten“ unter Strafe stehe. Durch das im Strafgesetzbuch verankerte Inzestverbot würden „die Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürzt“. Deshalb würden Betroffene nicht in eine „ausweglose Lage“ versetzt werden und es liege kein unzulässiger Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung vor.

Diese Argumentation als tragbar zu betrachten, wäre eine absolute Farce, die der Absurdität nur noch die Krone aufsetzt: Es wird deutlich, dass die RichterInnenmehrheit in wertekonservativer Manier lediglich den Sexualakt als solchen unter Strafe stellen will, ohne jedoch das Problem tatsächlich bei der Wurzel zu packen. Ein Bundesverfassungsgericht, welches sich um das Erkennen der psychologischen und soziokulturellen Gründe für inzestuöse Handlungen drückt und entsprechend eines traditionell von Werten und Normen geprägten Tabus urteilt, kann sich nicht der sachlichen Rechtfertigung eines Strafgesetzes behaupten.

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert die Abschaffung des Paragrafen 173 StGB, der Strafandrohung bei Beischlaf zwischen Verwandten vorsieht.

Die GRÜNE JUGEND Niedersachsen fordert die sofortige Amnestierung aller Personen, die aufgrund des §173 StGB verurteilt worden sind.

§ 173 StGB Beischlaf zwischen Verwandten

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) 1 Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist.
2 Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.



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