16. Oktober 2016

Don’t TiSA me!



Während die Freihandelsabkommen TTIP und CETA in der europäischen Öffentlichkeit seit Langem kritisch diskutiert werden, ist das mindestens ebenso gefährliche Abkommen TiSA (Trade in Services Agreement) nur in Fachdebatten ein Thema. Dabei hätte TiSA größere Auswirkungen auf mehr Länder als TTIP und CETA zusammen.

TiSA wird seit 2012 zwischen 23 Verhandlungsparteien, darunter auch die EU, verhandelt. Seit 2014 werden von wikileaks Dokumente der Verhandlungen
veröffentlicht. Wegen seiner vielfältigen negativen Auswirkungen auf demokratische Wirtschaftspolitik lehnt die GRÜNE JUGEND Niedersachsen TiSA ab und fordert ein Ende der Verhandlungen zum Abkommen!

Im Kern falsch

Der bisher bekannte TiSa-Text besteht aus einem Kerntext und mehreren Anhängen zu verschiedenen speziellen Bereichen, die vom Abkommen erfasst werden. Der TiSA-Kerntext beinhaltet die Grundsätze des Abkommens, nach denen Dienstleistungen in jedem Fall nur handelbare Güter darstellen, bei denen man sich um Marktzugänge, Gleichbehandlung von Firmen und Liberalisierungen in der Regulierung Gedanken machen muss, nicht aber über die Aufgaben, welche diese Dienstleistungen für die Gesellschaft erfüllen. Hier wird deutlich, dass TiSA nicht dafür gemacht wird, globale Sozial- oder Umweltstandards zu setzen, sondern um lokale Regelungen zu umgehen und die Weltwirtschaft möglichst neoliberal umzugestalten.

TiSA arbeitet im Bereich der „Gleichbehandlung“ von Anbieter*innen mit dem bereits in TTIP und CETA kritisierten Konzept der „Negativlisten“. Auf diesen
Listen werden von Vertragsnationen Bereiche aufgelistet, die nicht vom Abkommen erfasst werden sollen. Alle anderen Branchen, auch solche, die erst in Zukunft
entstehen, müssen die Gleichbehandlungs-Klausel erfüllen. Gleichbehandlung bedeutet, dass Staaten Firmen unabhängig ihres Geschäftssitzes nach den gleichen
Maßstäben behandeln müssen. Direkte Subventionen, Förderprogramme für lokale Industrien oder sonstige Schutzmaßnahmen werden nicht mehr möglich sein. Damit verlieren die TiSA-Staaten grundlegende Möglichkeiten, die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes demokratisch zu gestalten. Stattdessen regieren die
Kräfte des Marktes immer mehr über die öffentliche Politik, zumal sowohl eine stärkere Regulierung einzelner Branchen als auch die Wiederherstellung früherer
Regulierungslevels unmöglich sein werden. Somit kann jede liberal/konservative Regierung in einem Vertragsland Liberalisierungen beschließen, die von späteren
linken Regierungen nicht mehr zurückgenommen werden können. TiSa wäre das Todesurteil für emanzipatorische Wirtschaftspolitik!

Unklar ist noch, inwiefern das TiSA-Abkommen eine most-favourite-nation (mfn) Klausel enthält. Diese in anderen Handelsabkommen häufig verwendete Klausel wird von einigen Verhandlungsteilnehmer*innen gefordert und hätte starke Auswirkungen auf die Vertragswirkung. Die Klausel würde dazu führen, dass Regelungen aus anderen Handelsabkommen der Vertragsstaaten, etwa Investor- Schiedsgerichtsverfahren oder spezifische Deregulierungen, in das TiSA-Abkommen übernommen werden, um „Gleichbehandlung“ zwischen Firmen aus verschiedenen Staaten herzustellen. Da die mfn-Klausel unvorhersehbare und intransparente Veränderungen des faktisch wirksamen Vertragsinhalts bewirken würde, lehnen wir alle Handelsabkommen mit dieser Klausel ab!

Regulier‘ hier nicht so rum!

Während Befürworter*innen von TiSA und anderen Abkommen häufig darauf bestehen, dass derartige Abkommen vor allem eine diskriminierende Behandlung ausländischer Konzerne verhindern wollen, spricht der TiSA-Anhang zu Regulierungen eine andere Sprache. Er würde alle Regulierungen betreffen, die sich auf Dienstleistungen beziehen oder in irgendeiner Form mit Dienstleistungen in Verbindung stehen. Darunter könnte fast alles fallen. Somit ist jede Regulierung, die nach den schwammigen Bestimmungen des Abkommen „unnötig belastend“ für Firmen ist, vor den TiSA-Schiedsgerichten anklagbar. Je nachdem, welche Verhandlungsparteien sich am Ende durchsetzen, wären davon auch Bevorteilungen von Genossenschaften, Lizenzmodelle oder andere Regulierungen, die nicht der Profitorientierung dienen, betroffen. Neue Regulierungen müssten ähnlich wie bei TTIP zunächst möglichen betroffenen Industrien vorgelegt werden, bevor sie beschlossen werden können. Damit bekommen Geschäftsinteressen eine weitere Bevorzugung vor den Interessen der Allgemeinheit und Gesetze zur Stärkung der demokratischen Marktkontrolle werden weiter erschwert. Das lehnen wir als GRÜNE JUGEND Niedersachsen strikt ab!

Das TiSa-Panel: Undemokratische Verhandlungen, undemokratische Umsetzung

Die Verhandlungen von TiSA finden, wie bei anderen großen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA, hinter verschlossenen Türen statt. Die Öffentlichkeit wird nur über kurze, ungenaue Berichte der EU-Kommission und geleakte Dokumente informiert. Schaut man sich allerdings den Verlauf der geleakten Dokumente an, wird der Einfluss der Industrie deutlich. Außerdem sollen der Vertragstext und die Verhandlungen erst fünf Jahre nach Beschluss veröffentlicht werden. Diese intransparente Arbeitsweise, die die Zivilgesellschaft außen vor lässt, aber den Einfluss von Industrie zulässt, lehnen wir als GRÜNE JUGEND strikt ab!

TiSA kann zwar von Staaten erst unterschrieben werden, wenn die Parlamente das bewilligt haben. Von Staaten wie den USA wird allerdings ein hoher Druck erzeugt, wodurch es für die verhandelnden Parteien praktisch unmöglich ist, TiSA nicht beizutreten. Ein späterer Ausstieg aus Vertrag ist zwar möglich, aber nicht einfach. Entscheidungen innerhalb des intransparenten TiSA Panels, welches das Abkommen auslegen und weiterentwickeln soll, werden nach Konsens entschieden werden. Konsens ist aber auch, wenn ein auf der Sitzung anwesendes Land nicht explizit gegen einen Vorschlag protestiert. Somit müssen Beschlüsse auch in Ländern verwirklicht werden, die nicht auf einer Sitzung anwesend waren.

Shiet-Gerichte

Im Vergleich zu TTIP und CETA ist TiSA nicht direkt mit Investor-Staatsklagen ausgestattet. Diese Privatgerichte für große Firmen, die ein großer Kritikpunkt der genannten Abkommen sind, könnten lediglich über die Most-Favourite-Nations- Klausel angerufen werden, sind jedoch nicht im TiSA-Text enthalten. Darüber hinaus könnten Firmen bilaterale Abkommen wie TTIP und CETA dazu nutzen, Regelungen aus TTIP durchzuklagen. Trotz des Ausschlusses der Klagemöglichkeit
aus dem Vertragstext würde TiSA also für mehr intransparente und undemokratische Invester-Staatsklagen sorgen. Das lehnen wir als GRÜNE JUGEND Niedersachsen klar ab!

Meinungsverschiedenheiten werden bei TiSA ähnlich wie im GATS-Abkommen über Staats-Staatsklagen vor Schiedsgerichten behandelt. Die Zusammensetzung dieser Gerichte ist ähnlich willkürlich wie die der Investor-Staats-Schiedsgerichte in anderen Abkommen. Im Gegensatz zu WTO-Abkommen ist bei TiSA keine Revision der Schiedsgerichts-Urteile möglich, was die Macht dieser nicht-staatlichen Instanz weiter stärkt. Auch wenn TiSA weitaus weniger Folgen auf die Schiedsgerichts-Praxis als TTIP und CETA hat, bringt es keinerlei Verbesserungen in das System intransparenter Entscheidungen.

Staatsfeindlich, neoliberal, TiSA

TiSA beinhaltet ebenfalls einen Anhang zu Staatsfirmen, der einen klaren staatsfeindlichen Kurs verfolgt. TiSA legt eine Höchstschwelle von 30% des BIP oder 30% der heimischen Firmen fest. Liegt ein Land über diesem Wert, muss es einen Aktionsplan vorlegen, wie es unter diesen Wert kommen will. Staatsfirmen dürfen des Weiteren nicht gegenüber der Privatwirtschaft bevorzugt werden, was eine demokratische Kontrolle über verschiedene Wirtschaftsbereiche erschweren würde. Die Staatsfirmen, die unter TiSA noch existieren können, werden gezwungen, sich wie Privatfirmen zu verhalten, also nach reinen Profitkriterien.

Staaten, die Staatsfirmen betreiben, werden durch TiSA ständig mit Vorgaben konfrontiert sein, die das führen solcher Firmen enorm erschweren. Besonders die „Transparenz“-Bestimmungen im Abkommen könnten die Wirtschaftlichkeit staatlicher Wirtschaftsteile stark reduzieren. Unter ihnen wären Staaten verpflichtet, auf Nachfrage anderer Staaten detaillierte Informationen über ihre Unternehmen an diese zu liefern. Ein Limit für die Anzahl solcher Anfragen gibt es nicht. Das könnte zu einer unüberschaubaren Anzahl von Anfragen führen, die hohe bürokratische Kosten erzeugen und so zu einem Privatisierungsdruck beitragen. Wir wollen als GRÜNE JUGEND Niedersachsen vor allem Unternehmen der Daseinsvorsorge in staatlicher Hand belassen und lehnen auch diesen Teil von TiSA entschieden ab!

Krise? Welche Krise?

Der TiSA-Anhang zu Finanzinstrumenten ist wohl einer der besten Beweise dafür, dass aus der Finanzkrise keine Lehren gezogen worden. Wo angesichts immer noch bestehender finanzieller Instabilität in vielen Teilen der Welt eine stärkere Regulierung des Finanzsektors angebracht wäre, schränkt TiSA die Möglichkeiten zur Stabilisierung des Finanzmarktes stark ein. So könnten Kapitalkontrollen, wie sie in der EU zur Rettung der Eurozone etwa in Zypern oder Griechenland verwendet wurden, bis auf wenige Ausnahmen verboten werden, was panische Kapitalflucht in Zukunft wahrscheinlicher machen würde.

Die Einschränkungen der Regierungen sind auch bei der Finanzmarktregulierung noch deutlich stärker als in anderen Teilen des Abkommens. So fordern einige Verhandlungsparteien, auch Regulierungen zu verbieten, die nationale und ausländische Finanzinstitute gleichermaßen einschränken. TiSA würde außerdem die Entscheidung, ob das Verbot eines Finanzinstruments zulässig oder nicht ist, einem außergerichtlichen Tribunal überlassen, dessen Zusammensetzung noch unklar ist. Bei Regulierungen neuer Finanzinstrumente müssen die Vertragsstaaten im Vorfeld beweisen, dass diese Instrumente in Zukunft die Stabilität des Marktes gefährden würden. Diesen Beweis zu erbringen ist angesichts der Komplexität von Finanzmärkten sehr schwierig, weswegen im Zweifel wohl für die Finanzindustrie entschieden werden würde. Wer aus der Finanzkrise gelernt hat, muss also auch TiSA ablehnen!

Umweltschutz? Brauchen wir nicht!

TiSA gefährdet alle bestehenden Regelungen zum Klima- und Umweltschutz. Barrieren für Handel von Dienstleistungen sollen abgeschafft werden, dazu gehören aber auch Schutzmaßnahmen, die die Bereiche Energie, Wasser, Transport und weitere betreffen. Regulierungen sollen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner abgesenkt werden. Das Freihandelsabkommen schreibt beispielsweise eine Technologieneutralität vor, die zu einer Rückkehr zu fossilen Brennstoffen führen könnte und das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefährden würde. Aufträge können nicht mehr vorrangig mit an lokale Unternehmen, die erneuerbare Energien unterstützen, vergeben werden, um den Umbau der Energienlandschaft zu fördern.

Darüber hinaus sollen Bereiche, die bisher in Staatshand liegen wie die Wasserversorgung, privatisiert werden. Bereits privatisierte Unternehmen sollen zukünftig durch eine Sperrklausel, die „Ratchet Clause“, nicht mehr in die öffentliche Hand rücküberführt werden können, auch wenn die Privatisierung ein Fehlschlag war. Damit ist die Grundversorgung nicht mehr gesichert und ein Umbau zu einer nachhaltigeren Welt, wie wir uns das als GRÜNE JUGEND vorstellen, wird stark erschwert.

Datenschutz darf nicht verhandelbar sein!

Mit TiSA kann kein Land der Welt eine Firma daran hindern, Informationen in alle Welt zu tragen, denn TiSA soll einen ungestörten Datenfluss weltweit ermöglichen. Wörtlich soll dort stehen: „Kein Unterzeichner darf einen Dienstanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen zu
übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Dienstanbieters steht.“

Damit wäre der nationale Datenschutz abgeschafft. Insgesamt widersprechen die geleakten Vorschläge stark den Datenschutzbestimmungen der EU, welche nichtig wären, wenn die EU TiSA unterschreibt. Unternehmen können davon befreit werden, dass sie in den Ländern einen Firmensitz haben müssen, in denen sie eine Dienstleistung erbringen. Auch US-Internet-Konzerne bräuchten also keinerlei Niederlassung in der Europäischen Union mehr und würden damit auch nicht mehr den EU-Gesetzen unterliegen. Damit kann beispielsweise dann auch der Transfer von Kontodaten ungestört erfolgen. Außerdem würde TiSA das Ende der Netzneutralität bedeuten.

Fazit

TiSA ist undemokratisch, leitet eine beispiellose Deregulierung von Dienstleistungen ein, schädigt unsere Umwelt, verschlechtert den Datenschutz und begünstigt Finanzkrisen. Deswegen lehnen wir als GRÜNE JUGEND TiSA ab und fordern einen sofortigen Stopp der Verhandlungen!



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